Moloch München Eine Stadt wird verkauft

2007

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Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Januar 2007: Kommunale Wohnungsgesellschaften erhalten. OB Christian Ude hat vor dem „Wohnungswirtschaftlichen Arbeitskreis in Bayern“ festgestellt, dass die Einwohnerzahl von München seit den achtziger Jahren konstant geblieben sei: Die Zahl armer Münchner habe sich aber auf 180.000 verdoppelt. Er kritisierte den Verkauf Tausender Wohnungen durch die Meag im Herbst 2006, und nannte es empörend, wenn Münchner Unternehmen ihre Immobilien verkaufen und dann von der Stadt Wohnungsbau für Mitarbeiter fordern. Von den beiden städtischen Wohnungsbaugesellschaften GWG und Gewofag mit ihren 50.000 Wohnungen verlangte er eine effizientere Arbeit und bis 2011 eine jährliche Rendite von acht Millionen statt wie derzeit eine Million Euro: Mieterhöhungen seien kein „Unrechtstatbestand“. Ude, der zu der Zeit Präsident des Deutschen Städtetags war, äußerte ein nur partielles Verständnis für den Verkauf kommunaler Wohnungen, nannte aber den „totalen Räumungsverkauf“  städtischer Wohnungen in Dresden unerträglich.1

Januar 2007: „Tiefpunkt durchschritten“. Stadtbaurätin Christiane Thalgott äußerte angesichts des konjunkturellen Aufschwungs, dass sich die Erst- und Wiedervermietungsmieten in München 2006 stabilisiert hätten. Der Münchner Wohnungsmarktzyklus von acht bis zehn Jahren habe seinen Tiefpunkt durchschritten. Das Handlungsprogramm „Wohnen in München III“ sorge erst seit 2004 für mehr Wohnungsbau. Die Prognosen des Planungsreferats sehen ein zusätzliches Angebot von jährlich 1500 geförderten Mietwohnungen vor, um die städtische Reserve von 80.000 Wohnungen bis 2015 zu stabilisieren. Private Investoren orientierten sich an den Vermarktungschancen. Hier habe München eine hohe Qualität der Stadtentwicklung, und der Wohnungsbau sei eine werterhaltende und rentable Investition.2

Februar 2007: Fehlbelegungsabgabe soll entfallen. Mieter einer Sozialwohnung müssen im Fall eines gestiegenen Einkommens bislang eine Fehlbelegungsabgabe entrichten. Diese will der Freistaat bis Ende 2007 abschaffen. Durch die Föderalismusreform vom 1.9.2006 sind viele Zuständigkeiten im Wohnungswesen auf die Länder übergegangen. Die Bayerische Staatsregierung möchte in einem Entwurf zum Wohnraumförderungsgesetz zur „Deregulierung und Entbürokratisierung“ die Fehlbelegungsabgabe abschaffen. Die LH München nimmt jährlich etwa 5,6 Millionen Euro ein und will die Abgabe zumindest bis Ende 2009 beibehalten: Sie finanziert damit fast 100 Sozialwohnungen. Die Abgabe beträgt aktuell pro Quadratmeter zwischen 50 Cent und 3,50 Euro und betrifft 12,3 Prozent der Sozialwohnungen.3

März 2007: Wieczorek wirbt. Der Münchner Wirtschaftsreferent Reinhard Wieczorek (SPD) erklärte, warum München auf der Immobilienmesse Mipim in Cannes als Aussteller auftritt: Der Münchner Investmentmarkt machte 2006 einen Umsatz von fast fünf Milliarden Euro. Die Stadt sei als Wirtschaftsstandort attraktiv. München habe positive Zukunftsaussichten, das spiegele „Investieren in München“ wieder. München werde seine nachhaltige Stadtentwicklungspolitik „kompakt-urban-grün“ fortsetzen. Die Münchner Expo Real ist inzwischen größer als die Mipim, auf der die LH München mit 23 Partnern und fünf großen Projekten vertreten ist. „Wir wollen die Stärke Münchens, das Potential und die Dynamik unserer Stadt zeigen.“ (Horn, Peter, Selbstbewusster Auftritt, in SZ 9.3.2007))

Mai 2007: Werkbundsiedlung vor dem Aus? Im April 2006 wurde eine neue Werkbundsiedlung geplant. Auf dem Areal der alten Luitpold-Kaserne zwischen Infanterie-, Schwere-Reiter- und Heßstraße soll dieses neue Quartier mit 400 Wohnungen auf etwa fünf Hektar gebaut werden: Die Hälfte soll öffentlich gefördert werden. Der Wettbewerb „Werkbundsiedlung Wiesenfeld“ wurde von der „Arbeitsgemeinschaft Werkbundsiedlung München“ veranstaltet. Zunächst waren es die folgenden Bauträger: die beiden städtischen Wohnbaugesellschaften GWG und Gewofag, die Genossenschaft Wogeno, die im Besitz der BayernLB befindliche GBW AG, Bauhaus Süd, Concept Bau, Südhausbau und Christoph Fisser. Ende 2006 stieg die Wogeno aus. Im Februar 2006 wurden die Preisträger bekannt: der japanische Architekt Kazunari Sakamoto und die beiden Münchner Büros Allmann Sattler Wappner und Team 03. Die Baufertigstellung der Siedlung war für 2010 geplant.4
Im Mai 2007 stellte sich die Frage, ob die Werkbundsiedlung gebaut wird. Von den verbliebenen sechs Bauträgern stimmten nun vier Wohnungsbaugesellschaften aus Kostengründen gegen die Pläne des Architekten Sakamoto: Nur Südhausbau und Concept Bau stehen hinter dessen Plänen. Gerhard Matzig schrieb in der SZ, München würde sich „unsterblich blamieren“, wenn „das ehrgeizigste deutsche Wohnbauprojekt der letzten Jahrzehnte“ hier scheitern würde. Hier gäbe es eine „dumpfe Banalitätenschau des schon lange innovationsfeindlichen Münchner Wohnungsbaus“: nämlich entweder „Bauten von der Stange“ oder Luxus-Domizile.5
Im September 2007 trat Stadtbaurätin Elisabeth Merk für die Werkbundsiedlung ein, auch wenn SPD, Grüne und Sozialreferat durch nunmehr 12 Millionen Euro Mehrkosten Bedenken hatten. Merk wollte die Mehrkosten durch Sponsoren finanzieren lassen. Eine Sozialwohnung hat eine Kostenobergrenze von rund 1250 Euro pro Quadratmeter: Im Fall der Werkbundsiedlung wäre der Quadratmeter um 200 bis 600 Euro teurer – damit könnten anderswo 132 Sozialwohnungen gebaut werden.6

Juni 2007: Basic baut – oder nicht. In der Müllerstraße 45 im Glockenbachviertel verkaufte der Eigentümer ein Haus mit 40 Mietparteien an, ja, an wen? Zu einem Drittel an den Öko-Supermarkt Basic AG, zu zwei Drittel an eine GbR, die aus einem Bauunternehmer (und Generalunternehmer des Umbaus), einem Immobilienentwickler aus Frauenchiemsee und dem Basic-Mitgründer und Finanzvorstand Johann Priemeier bestand. Der Umbau kam einer Entmietung gleich. Vgl: Müllerstraße 45.

Juni 2007: Mietenexplosion erwartet. Der Vorsitzende des bayerischen BFW-Landesverbands freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen, Josef Kastenberger, warnte vor einer kommenden Mietexplosion. Es werde zu Engpässen und beängstigenden Zuständen kommen. In den neunziger Jahren hätten Bauträger jede dritte Wohnung an Kapitalanleger verkauft, die vermietet hätten: Das sei vorbei. Rudolf Stürzer von Haus + Grund rechnet mit einer Nachfragespitze in zwei Jahren. Er warnte vor negativen Auswirkungen bei einer Erhöhung der Erbschaftsteuer auf Immobilien: Das Bundesverfassungsgericht hatte im Januar 2007 die Besserstellung von Immobilien im Fall der Vererbung als verfassungswidrig gewertet. Stürzer skizzierte den Trend, dass immer öfter private Eigentümer ihre Wohnhäuser an Immobilienfirmen veräußern.7 Kastenberger wurde 2013 wegen Untreue zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.8

Juli 2007: „Airfolgs-Region“ Erding-Freising. So nennt sich eine Imagebroschüre für die Vermarktung der beiden Landkreise. Zielgruppen sind u. a. Gewerbetreibende und ansiedlungswillige Firmen. Die Broschüre soll auch auf der Münchner Messe Expo Real verteilt werden.9

September 2007: Rückläufiger Wohnungsbau. Im 1. Halbjahr 2007 wurden in Bayern 19.050 Baugenehmigungen für Wohnungen erteilt, das sind 40 Prozent weniger als im Jahr zuvor. Gleichzeitig werden die Mieten deutlich teurer. Besonders für den Ballungsraum München werden dramatische Folgen prognostiziert: Hier werden die Mieten in zwei bis drei Jahren um mehr als zehn Prozent steigen.10

September 2007: Aufweichung des Mieterschutzes? Der Deutsche Mieterbund (DMB) stellte in Bayern ein immer größeres Engagement internationaler Finanzinvestoren auf dem Wohnungsmarkt fest. Als Folge fürchtet der DMB Bayern, dass diese Investoren ein Aufweichen des Mietrechts fordern werden, weil es die Erzielung einer maximalen Rendite behindert. Gleichzeitig zieht die bayerische Bevölkerung von den Randbereichen in die Zentren, wodurch sich speziell in München die Wohnungsnot noch verschärft.11

November 2007: Neues vom Transrapid. Am Samstag, dem 3.11.2007, protestierten in München etwa 13.000 Demonstranten gegen den Transrapid. Die offiziellen Kosten von 1,85 Milliarden Euro stammten aus dem Jahr 2002. Hubert Weiger vom BN nannten den Transrapid einen Klimakiller, weil er die dreifache Energie einer Express-S-Bahn brauche. Der Finanzminister und CSU-Vorsitzende Erwin Huber (CSU) hielt den Magnetschwebezug dagegen überlegen gegenüber allen anderen Lösungen.12

November 2007: Bürgerversammlung im Stadtbezirk 2. Die Bürgerversammlung des Stadtbezirks Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt forderte u. a. keine Luxus-Sanierung von Wohnhäusern und keine Umwandlung mehr von Mietshäusern in Eigentumswohnungen. Das Schlachthofviertel werde so zum Luxusviertel mit uferlosen Mieten. Die Stadt wurde einstimmig aufgefordert, die 2008 auslaufende Erhaltungssatzung um mindestens fünf Jahre zu verlängern.13

Dezember 2007: Weniger Baurecht für neue Wohnungen. 2005 wurden 5300 und 2006 6300 neue Wohnungen ausgewiesen: 2007 werden es nicht einmal 2000. Das Planungsreferat erläuterte dazu, dass die Ausweisung von Baurecht stark von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Großprojekten abhängig sei. Gleichzeitig wurde 2007 die Zahl der fertiggestellten Wohnungen stark unterschritten: Geplant waren 7000, es wurden aber nur etwa 4000.14

  1. (Kastner, Bernd, „Erst verhökern, dann jammern in SZ 13.1.2007 []
  2. Hepp, Sebastian, Wichtige Ziele, in SZ 26.1.2007 []
  3. Loerzer, Sven, Stadt:  Besserverdienende sollen weiterzahlen, in SZ 1.2.2007 []
  4. Dürr, Alfred, Fröhlicher Wohnen in München, in SZ 5.4.2006; Werkbundsiedlung, in SZ 10.4.2007 []
  5. Matzig, Gerhard, Die Blamage, in SZ 7.5.2007 []
  6. Kastner, Bernd, „Ein neues Modell für München“, in SZ 12.9.2007 []
  7. Hammer, Martin, „Wir stehen vor einer Mietexplosion“, in SZ 23.6.2007 []
  8. Rost, Christian, Bauträger-Chef gesteht Untreue, in sueddeutsche.de 1.10.2013; Müller-Jentsch, Ekkehard, Bauunternehmer erneut vor Gericht, in sueddeutsche.de 18.7.2014 []
  9. Dannoura, Sabina, Flughafenumland lobt sich als „Airfolgs-Region“, in SZ 25.7.2007 []
  10. Kubina, Mario, Wohnungsmarkt auf der Kippe, in SZ 7.9.2007 []
  11. DPA, Mieter-Verband warnt vor Großinvestoren, in SZ 29.9.2007 []
  12. Wessel, Claudia, Veranstalter sehen „eindrucksvollen Beweis des Bürgerwillens“ – Staatsregierung lobt die Schwebebahn, in SZ 5.11.2007 []
  13. Schmidt, Wally, Angst vor der schleichenden Veränderung, in SZ 19.11.2007 []
  14. Wohnungsbau bricht ein, in SZ 5.12.2007 []
Moloch München Eine Stadt wird verkauft

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