Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Alte Messe München

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Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Im Münchner Stadtanzeiger forderte dessen langjähriger Chefredakteur Erich Hartstein schon 1985 ein zweites Messegelände, damit die Stadt ihre Spitzenstellung bewahren kann. Die auf nunmehr 105.000 qm erweiterte Messefläche auf der Schwanthaler Höhe reiche angesichts der innerdeutschen Städte-Konkurrenz nicht mehr. Wenn München seinen Rang halten will, ist ein zweites Gelände erforderlich, das idealerweise nach der Auflassung des alten Flughafens in Riem liegen sollte.1

November 1992: Altes Messegelände Theresienhöhe. Nach dem Umzug der Messe München nach Riem wird das alte Messegelände „überplant“: mit Wohnungen, kultureller Nutzung, Grünflächen. Der Stadtrat hat Stadtbaurätin Christiane Thalgott den Auftrag für ein entsprechendes Konzept erteilt. Die CSU fordert dort den Bau eines Kongresszentrums. Die Hallen 1 mit 16 werden abgerissen, die drei Hallen 3, 5 und 7 (Architekt Gabriel von Seidlein) stehen unter Denkmalschutz und sollen für kulturelle Zwecke genutzt werden, die Hallen 18 bis 25 für Gewerbe und Handwerk. Auf den bisherigen Parkplätzen sollen Wohnungen und Sozialwohnungen gebaut werden.2

Wunschliste Alte Messe: Zur Zukunft der Alten Messe gab es eine lange Wunschliste: zwei große Museen, ein Haus der Musik, eine Kunsthalle, eine Dependance des Deutschen Museums (Verkehr), Wohn-, Gewerbe- und Grünflächen. Weder der Freistaat noch die LH München haben hierfür Reserven: Laut OB Christian Ude und Stadtbaurätin Christiane Thalgott müssen 170 Millionen DM durch den raschen Verkauf von Grundstücken eingenommen werden, um die Hallen der Messe abzulösen.3

Oktober 1997: Neues Konzept für alte Messe. Der Stadtrat hat schon beschlossen, dass in die denkmalgeschützten Messehallen 3, 5 und 7 eine Auslagerung des Deutschen Museums kommen wird; das Verkehrsmuseum. Das Oktoberfestmuseum und ein Musicaltheater wurden gestrichen. Die Kongresshalle aus den 50er Jahren (850 Plätze) sucht nach einem Betreiber. 1998 findet der Messeumzug statt, danach beginnen auf dem 50 Hektar großen Gelände Teilabbrüche und Umbauten. Die ersten der 1800 Wohnungen (davon ein Drittel Sozialwohnungen) werden vom Architekturbüro Steidle & Partner gebaut. Hinzu kommen Grünanlagen, eine Grundschule, Sozial- und Kulturinstitutionen und Gewerbeflächen für 1500 Arbeitsplätze. Die Stadt wendet 624 Millionen DM auf, durch Grundstücksverkäufe will sie 644 Millionen DM einnehmen.4

November 1997: Bürgerversammlung will es grüner. Am 13.11.1997 fand die Bürgerversammlung für die Schwanthalerhöhe statt. Die Bewohner des Viertels waren vom Beschluss des Stadtrats zur Begrünung enttäuscht. Der Grünflächenanteil solle von geplanten 3,7 qm pro Westend-Bewohner auf 10 qm erhöht werden. Das Bürgerbündnis Messenachnutzung forderte die Bewohner auf, gegen den Beschluss des Stadtrats Einspruch zu erheben.5

Vermarktung der alten Messe. Ende 1998 gibt die Messe München die nicht mehr benötigten Hallen und Freiflächen an die LH München. Die Hallen 3, 5 und 7 stehen unter Denkmalschutz. Schon jetzt sucht die Stadt Käufer für diese Immobilien, mit denen man 644 Millionen DM einnehmen will. Auf der Rückseite der Bavaria werden 45 Hektar frei, die mit dem Slogan „Aufbruch durch Abbruch“ vermarktet werden. Im nördlichen Teil sollen Bürogebäude für 1500 Arbeitsplätze entstehen, im Südteil 1800 Wohnungen.6

Alte Messe im Umbruch. Anfang Juli 1998 fand ein Investorentreffen mit 70 Vertretern von Wohnungsbaugesellschaften und städtischen Planern für die Neubauprojekte auf der Alten Messe statt. Das Gespräch fand hinter verschlossenen Türen statt; BA-Vertreter waren nicht zugelassen. Es gab schon länger Forderungen der Anlieger, die diametral entgegengesetzt zu den Interessen der Investoren waren. Die benachbarten Bewohner wollten mehr bezahlbaren Wohnraum, mehr öffentliche Grünflächen, zusätzliche Kindergärten und Spielplätze, eine Abnahme des Autoverkehrs. Die Investoren möchten besser vermarktbare private Grünflächen, Luxuswohnungen, keine Kostenfaktoren wie soziale Infrastruktur, eigene Tiefgaragen-Stellplätze.7

Schlüsselübergabe. In der leeren Halle 7 übergab Messe-Chef Manfred Wutzlhofer am 15.9.1998 den symbolischen Schlüssel an OB Christian Ude und Kommunalreferentin Gabriele Friedrich (Grüne). Die alte Messe begann 1904 als „Verein Ausstellungspark“, 1908 wurde das Messegelände eröffnet. Bis auf die drei denkmalgeschützten Hallen 3, 5 und 7, das Kongressgebäude und dem Sitz der Gesellschaft für Handwerksmessen (GHM-Villa) werden alle anderen Gebäude abgerissen. Die Investoren zögern, angeblich wegen der hohen Preise, welche die Stadt verlangt.8

Protest an der Alten Messe. Am 9.5.1999 wollte die LH München die Öffnung des Bavariaparks feiern. OB Ude wurde von Anwohnern des alten Messegeländes mit schrillem Protest empfangen. Einer der Protestgründe: Ein Park, den es seit 150 Jahren gibt, soll als neue Grünfläche gefeiert werden – wenn gleichzeitig 1600 neue Wohnungen gebaut werden. Das sei keine Verbesserung des Grünflächenangebots, da auch durch den Wohnungsbau das Messegelände noch stärker versiegelt werde. Das Westend sei jetzt schon der Münchner Stadtteil mit dem größten Grünflächendefizit. Und nun werde jeder Quadratmeter vermarktet, statt neue Grünflächen und Spielplätze zu schaffen. Die laue Rechtfertigung des Planungsreferats: Man habe nach den Bürgerprotesten im Vorfeld die Gebäude zum Teil bereits um ein Stockwerk niedriger geplant oder die obersten Stockwerke etwas zurückgesetzt, damit die Bebauung nicht so massiv erscheine.9

46 Hektar zum Vermarkten. So viel Fläche hat das verfügbare Areal der Alten Messe. Neuer Stand im Oktober 1999: 1600 Wohnungen (davon 30 Prozent gefördert) und 3000 bis 4000 Arbeitsplätze, 200.000 qm Bürofläche, 14.000 qm für ein Gewerbegebiet. In die denkmalgeschützten Hallen 3, 5 und 7 zieht das „Museum für Mobilität“, ein Ableger des Deutschen Museums.10

Bauzentrum-Gebäude wird abgerissen. Die Fertighaus-Ausstellung ist nach Poing umgezogen; seitdem hatte die Stadt München in dem Gebäude ihre Energieberatung. Mitte 2001 wird das alte Messegelände weitgehend abgerissen, inklusive des ehemaligen Bauzentrum-Gebäudes. Das Terrain wäre sonst nicht verkäuflich gewesen: Damit wäre die Gesamtfinanzierung gefährdet gewesen, so lautete die Begründung.11

Alte Messe: Umbau. Im Jahr 2003 soll die Hälfte des 45 Hektar großen Areals fertig sein: Hier werden auf 13,5 Hektar sechs- bis siebengeschossige luxuriöse Büro- und Geschäftsflächen gebaut. Auf 31.000 qm Geschossfläche entstehen Wohnungen, davon exklusive 70 bis 80 in einem 43 Meter hohen, zwölfgeschossigen Turm.12 Die Deutsche Grundbesitz-Investmentgesellschaft (DGI) errichtet auf 63.000 qm Geschossfläche Geschäfte und Restaurants, auf 7000 qm 88 Wohnungen. Die Bayerische Versorgungskammer baut auf 9300 und 10.500 qm zwei Gebäude mit Büroflächen und Geschäften. Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG baut auf 32.000 qm die „Esplanade“: Büros, Geschäfte und 100 Wohnungen. Die Baywobau will auf 16.700 qm Wohnungen und auf 21.000 qm Büros und Geschäfte bauen. Die U-Bahn-Linien U4 und U5 laufen durch die Baustelle Alte Messe und müssen vor Abrutschen und Grundwasser geschützt und 200.000 Tonnen Erdaushub abgefahren werden.13

Neue Theresienhöhe. Nach Plänen von Prof. Otto Steidle (1943 – 2004) wird das rund 45 Hektar große Areal der alten Messe gestaltet. Im Norden und im Westen des Bavariaparks werden ein Drittel für Wohnbauten und zwei Drittel für Gewerbeflächen geplant. Im Süden des historischen Parks werden auf zwei Drittel der Fläche Wohnungen entstehen und auf einem Drittel Gewerbeflächen. Im Westen entsteht 1,5 Hektar großes Gewerbegebiet. Im Jahr 2006 sollen die Umbauten auf der Theresienhöhe fertig sein.14
Wieder einmal muss für den überdimensionierten Ausbau auf dem alten Messegelände der nichtssagende München-Slogan „kompakt-urban-grün“ herhalten, wobei am ehesten noch das Attribut kompakt der Ehrlichkeit entspricht.

Ergänzung vom Juli 2001: Auf den 45 Hektar der alten Messe werden 1600 Wohnungen gebaut, dazu kommen 3000 bis 4000 Arbeitsplätze. (Damit gibt es wie üblich einen Negativ-Saldo für Wohnungen, also eine Verschärfung des Wohnungsproblems; WZ) Der Anteil des geförderten Wohnungsbaus wurde aufgrund der hohen Nachfrage von 30 auf 40 Prozent erhöht.
Auf 200.000 qm Fläche werden Büro, Handel und Dienstleistung geplant, auf 14.000 qm entsteht ein Gewerbegebiet für Handwerker. Im Südteil sind alle Areale vergeben und der Realisierungswettbewerb abgeschlossen; im Nordteil wurden alle Grundstücke verkauft. Das Medienzentrum „Westend Medienfabrik“ wird auf 1,5 Hektar gebaut. Die alte Kongresshalle harrt noch eines Nutzers. In die drei denkmalgeschützten Hallen kommt das Deutsche Verkehrsmuseum, eine Filiale des Deutschen Museums. Neben dem Münchner Planer-Slogan des „kompakt, urban und grün“ wird als Ziel der hiesigen Stadtplaner genannt die „Münchner Mischung“: eine Mischung aus günstigen und teuren Wohnungen, dazu Geschäfte und Gastronomie, Grünflächen und ein Kulturangebot.15

August 2001: Denkmal-Hallen kosten mehr. Für die Sanierung der drei unter Denkmalschutz stehenden Hallen hatte die Stadt 500.000 DM eingeplant. Im Jahr 1999 waren es schon 15 Millionen DM und aktuell im Juli 2001 sind es über 50 Millionen DM. Hinzu kommt der gleiche Beitrag vom Freistaat Bayern. Dafür überlassen beide Finanziers dem Deutschen Museum die Hallen unentgeltlich. Die Betonschäden waren gravierender als gedacht, die Sanierung stand unter genauer Überwachung des Denkmalschutzes. Am 100. Geburtstag des Deutschen Museums am 11.3.2003 soll das Verkehrszentrum eröffnet werden – zumindest in einer Halle. Für die beiden anderen steht ein Termin 2004 oder 2005 fest.16 – Die Kosten für die reine Sanierung liegen bei 54,67 Millionen DM, der Ausbau zu Museumsräumlichkeiten kostet 31,2 Millionen DM, die Gestaltung der Ausstellung 13,6 Millionen DM, hinzu kommen zusätzliche Kosten von 1,5 Millionen DM.17

Oktober 2001: Alte Messe – weniger Wohnungen, mehr Arbeitsplätze. Am 14.10.1997 meldete die SZ 1800 Wohnungen und 1500 Arbeitsplätze. Am 9.10.1999 und am 27.7.2001 waren es 1600 Wohnungen und 3000 bis 4000 Arbeitsplätze. Am 16.10.2001 berichtete die SZ dann von 1500 Wohnungen und 4000 bis 5000 Arbeitsplätzen.18

Baumängel auf der Theresienhöhe. Über 4000 Euro wurden vor fünf Jahren für den Quadratmeter Wohnfläche beim Projekt „Bavaria 8“ mit seinen acht Punkthäusern und 170 Wohnungen verlangt. Bauträger war die Baywobau, die Architekturbüros waren Steidle und Partner, Ortner und Ortner, Hilmer und Sattler. Die vier WEGs der acht Häuser trafen sich nun mit Baywobau vor Gericht wegen über 400 vorgebrachter Mängel und einer Schadenssumme von etwa einer Million Euro.19

  1. Hartstein, Erich, München braucht ein zweites Messegelände, in Münchner Stadtanzeiger 8.3.1985 []
  2. Dürr, Alfred, Hochfliegende Pläne für die Theresienhöhe, in SZ 12.11.1992 []
  3. Grill, Michael, Die Wunschliste überfordert die Stadt, in SZ 30.6.1994 []
  4. Dürr, Alfred, Die Zukunft des alten Messegeländes beginnt, in SZ 14.10.1997; Altes Messegelände: Die Vorfreude ist groß, in SZ 16.10.1997 []
  5. Bürgerversammlung fordert mehr Grün, in SZ 15.11.1997 []
  6. Vögele, Gabi, Aufbruch durch Abbruch, in SZ 20.5.1998 []
  7. Vögele, Gabi, Anwohner misstrauen den Investoren, in SZ 8.7.1998 []
  8. Grill, Michael, Den Schlüssel hat jetzt der OB, in SZ 16.9.1998 []
  9. Vögele, Gabi, Die Feierstimmung ertrinkt im Protest, in SZ 10.5.1999 []
  10. Hoch, Angelika, Über die Kunst, allen Anforderungen gerecht zu werden, in SZ 9.10.1999 []
  11. Behr, Sabine, Das Bauzentrum muss weg, in SZ 10.2.2000 []
  12. Exklusiv Wohnen im Turm, in SZ 12.1.2001 []
  13. Was auf der alten Messe entsteht, in SZ 12.1.2001: Becker, Astrid, Ein neuer Stadtteil auf der Theresienhöhe, in SZ 12.1.2001 []
  14. Neuschäffer, Christoph, Mit dem Spaten zu neuen Taten in SZ 23.3.2001 []
  15. Hoch, Angelika, Facelifting für die alte Messe, in SZ 27.7.2001 []
  16. Dürr, Alfred, Kostenexplosion auf der alten Messe, in SZ 4.8.2001 []
  17. Dürr, Alfred, Die Messehallen-Sanierung – ein Horrortrip, in SZ 7.8.2001 []
  18. Dürr, Alfred, Die neue Generation von Sozialwohnungen, in SZ 16.10.2001 []
  19. Kastner, Bernd, Streit um Mängel bei Top-Objekt, in SZ 9.5.2008 []
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