„Die Ideen- und Lieblosigkeit, mit der Häuser gebaut werden, verrät eine tiefe Freudlosigkeit des Besitzes, der doch zugleich so gierig zu mehren versucht wird.“
Alexander Mitscherlich1
Wem gehört die Stadt?
Das fragt man sich allerdings in München: Von der Stadtpolitik ist wenig zu bemerken. Geld regiert die Welt – und in München regieren die Investoren, die Konzerne, die Immobilienwirtschaft. Die Devise der Investoren und Baulöwen: immer mehr Immobilien kaufen, übernehmen, abreißen, neu bauen, um immer mehr Geld mit Immobilien zu machen. Und noch mehr Geld mit Immobilien machen. Über Google Earth werden die letzten unbebauten oder verfügbaren Grünflächen und Gärten gesucht. Alteigentümer werden zum Verkauf überredet oder gezwungen – oder sie beteiligen sich selbst an der Spekulationsspirale. Und viele Eigentümer können ihren Kindern ihre Immobilie nicht mehr vererben, weil die Besteuerung nach dem Verkehrswert zu hoch ist.
Es geht auch um Egos. Welcher Investor peitscht seine Hochhäuser durch einen Stadtrat, der doch auch so gern einmal modern sein will. Wer baut den größeren/höheren/luxuriöseren Wohnkomplex? Wer zahlt am meisten für den Quadratmeter, wer verlangt am meisten für den Quadratmeter? Gierige Investoren und willige Bürokraten treiben die Preise hoch.
Wo bleibt die Stadt? Manche unerfahrene oder inkompetente Stadtpolitiker können oder wollen die Folgen ihres Handelns nicht absehen. Manche stecken selbst im Immobiliengeschäft. Stadtpolitiker werden dazu oft noch übertölpelt. Für eine oft relativ kurze Amtszeit üben sie ihr Amt aus und fühlen sich den Immobiliensektor, der Bauwirtschaft und den Spekulanten gewachsen. Da lachen die Investoren leise: Sie kennen ihr Geschäft und alle Tricks seit Jahrzehnten.
Überhaupt der Münchner Stadtrat. Bei der CSU ist hat einer eine eigene Immobilienfirma und ist tief in das Immobiliengeschäft um den Georg-Kronawitter-Platz involviert. Der Fraktionsvorsitzende der FDP stimmt bei jeder Abstimmung gegen Natur und Umwelt und für Wachstum und Bauwirtschaft. Die SPD ist seit vielen Jahren von Bauwut befallen. Die Grünen waren bis 15.3.2020 vorsichtig wachstumskritisch und einigermaßen ökologisch orientiert. Seit sie in der grün-roten Rathauskoalition mitregieren, sind auch sie auf einen Bau- und Investoren-freundlichen Kurs umgeschwenkt.
Münchner Größen-Wachstums-Wahn
Die Stadt siedelt seit Jahrzehnten unbegrenzt neue Arbeitsplätze an. Das Geld liegt nicht mehr auf der Straße, sondern neben der Straße, auf dem Grund und Boden. Wenn man sich die unzähligen und riesigen Baustellen der Gewerbe- und Wohnkomplexe ansieht, die neuen im Bau oder in Planung befindlichen Quartiere für zehntausende neuer Bewohner betrachtet, weiß man, dass dies nicht gut gehen kann. Es geht nur noch um Masse, nicht um Qualität; nur um eine Anhäufung von Wohnungen und Arbeitsplätzen, nicht mehr um eine gewachsene Stadtstruktur: In Groß-München droht die Gefahr, dass irgendwann die aus dem Boden gestampften neuen Massenviertel die Banlieues, die Problemviertel an den Stadträndern werden.
Die Münchner Stadtpolitik ist beratungsresistent. Ihre Devise heißt seit Jahrzehnten Wachstum, Arbeitsplätze, Wohnungen, Bauen. Deshalb sind kaum Änderungen zu erwarten. Münchens Stadtgebiet von 310 Quadratkilometer wird bis zum letzten Quadratmeter verplant, zugebaut, überbaut, zerstört: Das ist es zum großen Teil jetzt schon. „Bezahlbarer Wohnraum“ wird durch die permanent steigende Neuansiedlung von Unternehmen und Arbeitsplätzen zum Mythos, aber auch durch Luxuswohnungen (oft mit spekulativem Leerstand).
Am Beispiel der neuen Messe München in Riem sieht man sehr klar die Wirkungsmechanismen des Molochs München: 1) Die Stadt plant vor sich hin, ohne groß die eigene Einwohnerschaft oder das Umfeld über die kommenden Probleme und Konsequenzen zu informieren. 2) Ein Bauabschnitt zieht den nächsten nach sich und belastet damit sein Umfeld. 3) Die Gemeinden im Umfeld wollen davon profitieren und investieren ebenfalls. 4) Das ruinöse Wachstum geht weiter. Moloch München eben…
Gier schlägt Stadt.
An der Börse heißt es: Gier schlägt Hirn. Auch im Immobilienboom ist der Antrieb: Gier. Das sieht man am Münchner Stadtbild, das längst von den Investoren dominiert wird. Man erkennt das alte München oft nur noch an Details, nur noch schemenhaft. In einigen Jahren werden die, die hier schon länger leben, die Stadt nicht wiedererkennen. Und die Neu-Münchner, Neo-Münchner, Münchner 3.0, werden das neue München als völlig normal empfinden. Eher kommen ihnen die paar Relikte merkwürdig vor. Aber deren Existenz ist meist nur eine Frage der Zeit. Außerdem müssen einige alte Details in der Stadt ja für Touristen als Zeitzeugen stehen bleiben: vermutlich so etwa 0,1 Prozent des Bestandes.
Seit etwa der Jahrtausendwende wird in München eine gnadenlose Wachstumspolitik betrieben. Der München-Irrtum: Immer mehr Ansiedlung und immer mehr Geld retten eben genau nicht die Stadt, sondern sind die Ursache für ihre Verrottung. Bis Mitte der 2030er Jahre ist die Überbauung von weiteren 2000 Hektar Acker- und Grünflächen im Stadtgebiet geplant – mit verheerenden Folgen für das Stadtklima. Die heutigen Entscheider in der Stadtspitze werden keine Verantwortung übernehmen. Es wird wieder niemand gewesen sein: weil man die Folgen der Versiegelung, des Zubauens der Frischluftschneisen natürlich nie und nimmer vorhersehen konnte.
Referat für Stadtwachstum und Investoren-Baurecht
Das wäre der realere Name für das Referat für Stadtplanung und Bauordnung. Alexander Mitscherlich schrieb bereits 1965 über die Schwierigkeiten von Stadtplanung: „Wenn man also das Glück nicht planen kann, so kann man immerhin sehenden Auges Unglück verringern. Angesichts der Unwirtlichkeit unserer Städte kein unbedeutendes Unternehmen.“ Die Münchner Stadtplanung verringert kein Unglück. Ihr Credo ist einfach: Wachstum, Wachstum, Wachstum. Bauen, Bauen, Bauen. Und Investoren ein maximales Baurecht einzuräumen, siehe das Beispiel Areal Paketposthalle.
Woher nimmt das Referat für Stadtplanung und Bauordnung das Recht, das Münchner Stadtgebiet mit weiteren tausenden neuer Arbeitsplätze und Wohnungen auf geplant 2000 Hektar bis 2035 bebauen zu lassen und damit massiv zum Aussterben von Arten und zur Klimaerwärmung beizutragen? Weil das Referat vom Stadtrat ermächtigt wird. Warum erlaubt dies der Stadtrat? Weil es vom Planungsreferat dringlich vorgeschlagen wird.
Die „Wohnungsnot“
Wie ein Süchtiger nach Drogen ist die Stadt München süchtig nach Arbeitsplätzen – und damit gleichzeitig süchtig nach Wohnungen. Die Tendenz ist seit den 1980er Jahren klar: Damals war schon von Wohnungsnot die Rede – dauerhaft bis heute. Das seitdem praktizierte untaugliche Modell: Arbeitsplätze in die Stadt holen, Wohnungsnot bedauern, Wohnungen bauen, Arbeitsplätze in die Stadt holen, Wohnungsnot bedauern, Wohnungen bauen, usw. – bis heute. Bezahlbare Wohnungen sind eine leere Versprechung: Es reicht nie und wird nie reichen angesichts des ungebremsten Zuzugs. Und die hier lebende Bevölkerung wird verdrängt.
Das Totschlagargument Wohnungsbau hat zur Folge, dass fast alle Baupläne genehmigt werden. Der grenzenlos gesteigerte Bau von Gewerbeflächen und Wohnungen ähnelt einem Amoklauf. Es ist bekannt, wie Amokläufe enden. Um 300.000 Neubewohner soll die Stadt bis 2040 noch wachsen, plant die Stadtplanung. Was kümmert München die zusätzlich benötigte Wasserversorgung – dann wird das Oberland eben noch mehr leergesaugt. Woher kommt die zusätzliche Energie: Strom, Gas, fossile Brennstoffe, erneuerbare Energien, die technische Infrastruktur, die Verkehrs-Infrastruktur, die soziale Infrastruktur? Wie sollen die damit einhergehenden Probleme gelöst werden: gesellschaftliche Verwerfungen, ungelöste Integrationsprobleme, erkennbare neue soziale Brennpunkte, neue Elendsviertel?
Alle staatlichen und kommunalen Zuschüsse und Subventionen zum Wohnungsbau, zur Mietminderung, der soziale Wohnungsbau, die diversen Fördermodelle verdecken die Tatsache, dass letztlich die Einkommen vieler Münchner zu niedrig für die hohen Mieten sind. Ein immer höherer Prozentsatz der gebauten Wohnungen muss öffentlich gefördert werden: Öffentliche Gelder finanzieren letztlich auch Immobilienkonzerne und Investoren. Die Stadt kommt mit dem Bau subventionierter Wohnungen nicht mehr nach.
Die teuren Wohnungen in den Hochglanzprospekten der Immobilienwirtschaft sind natürlich alle „nachhaltig, grün, ökologisch“ konzipiert – und selbstverständlich energieeffizient. Zum Greenwashing gehört auch, dass Abriss und Neubau noch als klimafreundlich deklariert werden. Dabei geht beim Abriss der Altbauten sehr viel „Graue Energie“ verloren. Und die Neubauten zerstören oft wertvollen Bestand an Natur, während dann dort eine Begrünung angelegt wird, die meist wertlos für die Ökologie ist. Auch werden oftmals die letzten gewachsenen historischen Strukturen zerstört. Und die Neubau-Quartiere und Wohnkomplexe mit tausenden von Wohnungen schaffen ein soziales Vakuum ohne soziale Bezüge. Oftmals ist es Silo-Architektur mit Massen-Menschen-Haltung, in München gern Kuben- und Würfelform. Ritter-Sport-Architektur 2.0: quadratisch, praktisch, ungut.
Und jetzt schaltet die Stadt einen Industriehallen-Spezialisten ein, der für das Sozialreferat vorgefertigte Fließbandwohnungen mit minderer Qualität und minderer Architektur produziert. Die selbst verursachte Massen-Nachfrage muss schließlich bewältigt werden, siehe Freiham, Bayern-Kaserne, etc. SEM-Nord und SEM Nordost warten schon und werden zu Neuperlach 3.0, Hasenbergl 4.0, …
Die Droge Arbeitsplätze
Arbeitsplätze nach München holen heißt auch: Wohnungsnot nach München holen. Da die Stadtverantwortlichen nach Wachstum süchtig sind, werden bis heute unaufhörlich Unternehmen in die Stadt geholt. Der Schlüssel beträgt in etwa: 1 Arbeitsplatz = 1 Wohnung. Freiham und SEM Nordost: 30.000 Bewohner, etwa 10.000 Wohnungen, 10.000 Arbeitsplätze.
Die „Strategie“ der Stadtverwaltung, immer weitere Firmen und Arbeitsplätze nach München zu holen, obwohl die gesamte Infrastruktur längst an ihre Grenzen gerät, ist starrsinnig. Viele Städte wären froh über die nach München gelockten Firmen. Wer in München Arbeitsplätze sät, wird noch weiteres ungesundes Städtewachstum verursachen, wird die technische und verkehrliche und soziale Infrastruktur weiter überfordern. Ein Stopp der Ansiedlung von weiteren Unternehmen und damit neuen Arbeitsplätzen könnte für eine gewisse Beruhigung sorgen: Leider ist das Gegenteil geplant.
Der Immobilien-Kampf.
Der Quadratmeterpreis der Münchner Immobilien und der Münchner Mieten hat etwas gemeinsam mit dem CO2-Gehalt der Atmosphäre: Beide steigen unaufhörlich. Das ist gewollt. Die Stadt ist im Kampfzustand.
Es gibt viele Parallelen beim Kampf der Drogenkartelle und beim Kampf der Immobilien: die Produktion (Investoren und Bauwirtschaft), der Stoff (Wohnungen, Gewerbebauten), die Dealer (Immobilienwirtschaft, Baukonzerne), die Staatsmacht (Politiker, Verwaltung, Lobbyisten), die Sucht (Wachstum, Arbeitsplätze, Wohnungen), die Opfer (Wohnungssuchende, Vertriebene, Verarmte).
Im Krieg ist das erste Opfer die Wahrheit, sagt man. Im Immobilien-Krieg ist sie das auch. Hinzu kommen Fakenews und oft ein Neusprech wie bei George Orwell: „Neusprech wird im übertragenen Sinne als Bezeichnung für Sprachformen oder sprachliche Mittel gebraucht, die durch Sprachmanipulation bewusst verändert werden, um Tatsachen zu verbergen und die Ziele oder Ideologien der Anwender zu verschleiern.“2 Altbauten sind schlecht, Neubauten sind gut, nachhaltig, grün. Abriss ist umweltfreundlich, Vernichtung von Vergangenheit ist sinnvoll. Hochhäuser sind ökologisch vorbildlich, ihre Gegner nannte der Investor Ralf Büschl herabwürdigend „Querdenker“.
Wie jeder Kampf produziert der Immobilienkampf Opfer und Vertreibung: Ärmere, Schwächere, Ansässige müssen weichen. Er ist auch ein Stellungskrieg um Immobilien, ein gnadenloser Abrisskampf, oft mit teurem und geschmacklosem Wiederaufbau, ein Kampf um die städtische Macht. Wie eingangs erwähnt: Wem gehört die Stadt?
Wucherungen nach außen.
Der Wachstumskrebs der Großstädte wuchert nach außen und München ins Umland. Mit jeder neuen überregionalen Straßenverbindung, mit jeder Verlängerung der U- und S-Bahn wuchert der Krebs weiter ins Umland. Auch dort steigen dann in kurzer Zeit Quadratmeterpreise und Mieten, werden dadurch die dortig Ansässigen vertrieben.
Bereits 1965 schrieb Alexander Mitscherlich: „Eine Sonntagsfahrt ins Grüne aus einer modernen Großstadt – auch schon aus einer mittleren -, unterscheidet sich in nichts mehr von der täglichen rush hour in der City.“3 München exportiert seine rush hour seit Jahrzehnten bevorzugt in die Seenlandschaft und das Voralpenland: samt Smog und Staus und Verkehr und Lärm. Die dortigen Belastungen werden natürlich umso mehr, je weiter über- und zugebaut und überbevölkert München wird und nach außen wuchert. Das interessiert übrigens zu allerletzt die Münchner Stadtverwaltung und die Münchner Politiker. Deshalb veröffentlicht der Bund Naturschutz Broschüren wie „Tourismus in den bayerischen Alpen: Von der Traumlandschaft zum übernutzten Berggebiet“.4 Schon 2040, so die Planung des Planungsreferates, soll die Münchner Bevölkerung von heute 1,5 auf 1,8 Millionen Einwohner wachsen: noch mehr Münchner im Ansturm auf die schönen Seenlandschaften und Bergregionen.
Die Folgen
„So optimistisch sollten wir nicht sein, dass der Mensch in jedem Fall am Leben bleibt. (…) Was aus dem Biotop unsere Städte wird, trägt zu der Entscheidung bei, welche Seite in diesem Geschichtsabschnitt den Wettlauf gewinnt.“
Alexander Mitscherlich5
Zerstörung der ökologischen Grundlagen
In der Klimawissenschaft bedeuten Kipp-Punkte (Tipping points), dass ab einem gewissen Punkt schon geringe äußere Veränderungen massive Rückkopplungen und irreversible Veränderungen auslösen können. Dazu gehören z. B. der Anstieg des Kohlendioxids (CO2) in der Atmosphäre, das Abschmelzen des Meereises, des Grönland-Eisschildes, der weltweiten Gletscher, die Abholzung des Amazonas-Gebiets etc.
Ähnliche Kippelemente gibt es im Städtebau. Für München war eines der ersten Kippelemente die Bewerbung für Olympische Sommerspiele 1972 im Jahr 1965, die einen riesigen Bauboom und große Veränderungen auslösten. Darauf folgte eine seither ausgeübte Wachstumspolitik mit der stetigen Ansiedlung von Arbeitsplätzen und dem damit verbundenen Wohnungsbau. In der Münchner Planung steht, wie erwähnt, bis 2035 die Überbauung und Versiegelung von weiteren 2000 Hektar bisher naturbelassener Böden. Dadurch leidet die Biodiversität und Artenvielfalt.
Hinzu kommt der zunehmende Zubau von Frischluftschneisen. Die logische Konsequenz ist ein Anstieg der derzeit schon hohen Temperaturen im Stadtgebiet. Im Sommer 2020 gab es in München drei Wochenenden mit Temperaturen über 40 Grad Celsius.
Aber wer hier redet angesichts von Aufschwung und Wirtschaftswachstum von wichtigen Grünflächen für die Klimazonen, von Kaltluftschneisen und ihrem Zubauen, vom logischen Zusammenhang der Aufheizung und der Versiegelung, etc.? Seit spätestens dem Jahr 2000 bewegt sich die Stadt auf eine geplante Klimakatastrophe hin.
Die globale Klimakatastrophe ist längst eingetreten. Im Intro hatte ich geschrieben: „Im Sommer 2020 gab es bereits drei Wochenenden mit Temperaturen über 40 Grad Celsius.“ Dazu ein kleiner Überblick zum Sommer 2021: Die Wälder brannten von Südamerika über Kalifornien, Italien, Griechenland, die Türkei bis Tadschikistan. Die Überschwemmungskatastrophen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz sind eindeutig der Klimaerwärmung zuzuordnen. Und was macht die LH München? Business as usual mit Bebauung und Versiegelung auf Teufel komm raus.
Der Münchner Stadtrat investiert bis zum Jahr 2026 jährlich 100 Millionen Euro extra in Klimaschutzmaßnahmen, statt den Grünbestand und Naturflächen unangetastet zu lassen. Mit all den Millionen Euro kann das nicht abgemildert werden, was man mit Bebauung und Versiegelung und Naturzerstörung kaputt macht. Und bis 2035 soll München – auf dem Papier – klimaneutral sein: Das kann nicht funktionieren.
In meinem Essay „Der Bio-Kapitalismus“ habe ich 2020 versucht, das Greenwashing im Gefolge der Zerstörung der Lebensgrundlagen zu beschreiben.6 Auch der Weg zur Klima-Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert.
Soziale Folgen
„Der Durchschnittsmensch ist müde und verängstigt, und ein müder, verängstigter Mensch kann sich Ideale nicht leisten. Er muss zusehen, dass seine Familie zu essen hat.“
((Chandler, Raymond, Der lange Abschied, Zürich 1975, S. 237)
Die Wohnungsnot hat auch einen häufig übersehenen Effekt: Sie ist eine sehr effektive disziplinierende Maßnahme. Dies wird in der Öffentlichkeit weitgehend nicht diskutiert. Wer es sich nicht leisten kann, seine Wohnung zu verlieren, ist ein williges Opfer von Vermietern und Investoren und muss Sanierungsmaßnahmen und „Modernisierungen“ ertragen. Wer umzieht, muss mehr Miete zahlen – und wohnt danach weiter draußen.
Ich war in München 25 Jahre im Hallenfußball aktiv und spielte unter anderem mit Gerhard H., der bei einer kirchlichen Institution arbeitete. Er sagte schon etwa 2012: „Wenn ich in Rente bin, muss ich wegziehen. Da kann ich mir hier keine Wohnung mehr leisten.“ Das ist kein Einzelschicksal. München wird für Münchner unbezahlbar. Ansässige werden hinausgedrängt und verdrängt durch hohe Mieten, Umwandlung in Eigentumswohnungen, Luxussanierungen, Gentrifizierung.
Die Neubürger aus der IT-Branche und den anderen Großkonzernen kommen mit Münchner Kaltmieten um die 20 Euro pro Quadratmeter gut zurecht. Parallel dazu verändert sich die Stadt durch Großinvestoren, welche wie René Benko Teile der City aufkaufen. Institutionen wie Kaut-Bullinger, Sport Münzinger, Obletter (bleibt nun doch erhalten) und viele andere auch mussten bedingt durch die hohen Mieten schließen, ebenso wie viele kleine alteingesessene Münchner Geschäfte. Dazu sorgt die aktuelle Corona-Pandemie für zusätzliche Probleme.
Resumée
„Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“7
Der berühmte Satz vom Theodor W. Adorno dient heute auch gern für Ausreden aller Art. Aber wer sorgt für das falsche Leben, wer organisiert dieses? Wer stellt die Tickets aus für die Zerstörung der Städte? Die Politik, die Verwaltung, die Planer, die Gerichte, dazu die Investoren, die Bauwirtschaft, die Immobilien-Haie.
Und keiner fühlt sich verantwortlich, keiner kann etwas dafür. Alexander Mitscherlich schrieb 1965: „Um unsere Städte anders wachsen zu lassen, als es geschieht, müssten wir uns erst wieder für sie verantwortlich, von ihnen angesprochen fühlen.“8 Wer von den Genannten, die für die Unwirtlichkeit der Städte sorgen, fühlt sich heute dafür verantwortlich?
Im Münchner Stadtgebiet kommt man sich als Gegner des Total-Ausverkaufs heute oft vor wie ein Wal im Ozean: einsam und wie im Exil, fern von Artgenossen, inmitten feindlicher Heerscharen von Architekten und Planern, Investoren und Baulöwen, welche München 2.0 gut und die Fließbandproduktion von Wohnungen und Stadtquartieren bewundernswert finden. Gleichgesinnte werden immer weniger und sind nur schwer auffindbar. Viele sind schon weggezogen.
Eine fiktive To-do-Liste (oder: Was man tun könnte und nicht tun wird)
– Ein Haus ist kein Auto, wird aber von Nutzern und Behörden ähnlich behandelt. Wenn es älter ist, wird es verschrottet vulgo abgerissen, auch wenn es noch gut zu sanieren wäre.
– Der systematisch subventionierte und geförderte Abriss und Neubau darf nicht mehr billiger sein als die Sanierung.
– Es gibt längst Kostenbilanzen mit Vergleichen von Sanierung versus Abriss und Ersatzneubau bzw. Passivhaus: Die Kosten liegen im Vergleich zur Sanierung beim Abriss plus Neubau um 50 und beim Abbruch plus Passivhaus um 75 Prozent höher.9
– Die städtischen und kommunalen Baubehörden planen keine sinnvolle und maßvolle Entwicklung von Städten und Ortschaften, sondern genehmigen eine am kurzfristigen Gewinn orientierte Bautätigkeit mit immer gleichen Plänen von meist denselben Investoren.
– Wenn eine Baubehörde wie die Münchner LBK sinnvoll agieren würde, dürfte ihre Haupttätigkeit nicht in der Förderung von Bauwirtschaft und Immobilienbranche und deren Großprojekten bestehen. Ein verantwortungsvolles Referat für Stadtplanung und Bauordnung dürfte nicht eine Quasi-Erfüllungsinstitution der Investoren sein, sondern müsste mit dem Gebäudebestand verantwortungsvoll umgehen, den Grund und Boden in der Stadt, Grünflächen und klimarelevante Zonen vor sinnloser Bebauung schützen und den fortwährenden Zuzug von Unternehmen und Arbeitsplätzen beenden.
– Mit falschen Energieberechnungen werden Altbauten schlecht eingestuft und Neubauten gerechtfertigt. Hier ist eine realistische Berechnung dringend nötig, die auch die Graue Energie, den Energieaufwand für Abriss, Deponierung und Neubau und alle Folgekosten beinhaltet.
– Auch „Ökohäuser“ brauchen Platz, benötigen wertvolle Baustoffe, beruhigen oft nur das Gewissen, ohne wirklich klimarelevant zu sein. Oft liegen sie weitab vom ÖPNV und vom Arbeitsplatz, der nur mit dem Auto erreicht werden kann. Fuhrhop nennt dies „die Zersiedelung der Städte im ökologischen Gewand“.10
– Das Wissen um die Klimakatastrophe geht anscheinend am Bauwahn spurlos vorbei; weitgehend kritiklos dürfen die letzten Stadtareale zugebaut werden, weil Bauen als sozial verkauft wird, Stichwort Wohnungsnot. Aber angesichts von Klimakatastrophe und Artensterben muss die gesamte Bautätigkeit radikal heruntergefahren werden.
– Das Bodenrecht ist ungerecht und fördert Abriss, Verkauf und Spekulation. Es muss dringend geändert werden, auch wenn mächtige Kräfte dies seit Jahrzehnten verhindern.
– Aktuell geht es bei den meisten Bauprojekten nur um Geld, um viel Geld. Der Boden in Städten und Gemeinden ist aber nicht vermehrbar. Deshalb muss mit ihm verantwortungsvoll, sozial und geschichtsbewusst umgegangen werden.
– Die Spekulation muss mit vielfältigen Maßnahmen eingedämmt werden.
– „Modernisierung“, „Nachverdichtung“, Sanierung“ sind oftmals Umschreibungen für Luxussanierungen, Mietervertreibung, Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Hier müssen Bundesbaugesetz und kommunale Vorschriften den Investoren Grenzen setzen.
– Gebaut wird da, wo die höchsten Profite erwartet werden: vornehmlich in den immer gleichen Städten mit hohem Wachstum. Gleichzeitig wird funktionsfähiger Wohnraum vernichtet.
– Die Ansiedlung von Arbeitsplätzen sollte dort stattfinden, wo sie nicht den Boom weiter anheizen und wo Wohnungen schon vorhanden sind.
– Eine langjährige Lobby von Bauwirtschaft, Immobilienkonzernen, Grundstücksverwertern, Planungsinstanzen, Baubehörden sorgt für einen immer gleichen Einheitsbrei aus Bürogebäuden und Wohnkomplexen, der zudem jede Menge Rohstoffe, Energie, Grund und Boden kostet.
– Die Bauwirtschaft verursacht ein Desaster. Abriss und Neubau produzieren in Deutschland etwa 60 Prozent des Abfallaufkommens. Allein die Zementindustrie emittiert etwa acht Prozent des globalen CO2. Für Kies werden in der Nähe Münchens Waldgebiete abgeholzt. Weltweit wird der Sand für die Bauwirtschaft knapp. Aus vielen Gründen müsste die Bautätigkeit heruntergefahren werden: auch und gerade in Deutschland.
Daniel Fuhrhop hat in seinem Buch Verbietet das Bauen 50 Werkzeuge aufgeführt, um Neubauten überflüssig zu machen (S. 163 – 172). In der 2. Auflage sind es sogar 100 Werkzeuge, u. a. Modernisieren statt abreißen, Altes und Neues richtig bewerten, Leerstand kennen und nutzen, beliebte Regionen ab- und unbeliebte Regionen aufwerten, keine Platzverschwendung, Nichtbauen, Umbauen, gemeinschaftlich Wohnen…
*
Ich gebe mich keinerlei Illusionen hin: Moloch München wird – wie so viele andere Kritik –, in dieser Stadt nichts verändern. Die Abriss-Fraktion, die Nutzflächen-Schinder und die Quadratmeter-Proleten werden weiter gewinnen. Und München ist ja nur ein Beispiel. Global betrachtet ist die Zerstörung der Welt augenscheinlich mehrheitsfähig.
Warum habe ich diese Webseite Moloch München erarbeitet, wenn ich kaum Reaktionen und schon gar keine Änderungen erwarte? Vielleicht mag ich mich auch überraschen lassen. Niklas Luhmann empfiehlt in einer solchen Situation: enttäuschungsfeste Erwartungen ausbilden.
Ein wichtiger Schritt für München (und der Titel eines sehr empfehlenswerten Buches) ist: VERBIETET DAS BAUEN. Aber um die Natur, um das Dasein und die Lebens- und Überlebensbedingungen auch für künftige Generationen zu erhalten, um das weitere Ansteigen der CO2-Werte in der Atmosphäre zu bremsen, wäre gerade in München ein weiterer wichtiger Schritt nötig: VERBIETET DAS WACHSTUM!
- Mitscherlich, Alexander, Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden, Frankfurt 1965, S. 10 [↩]
- Wikipedia [↩]
- Mitscherlich, Alexander, Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden, Frankfurt 1965, S. 58 [↩]
- https://www.bund-naturschutz.de/pressemitteilungen/von-der-traumlandschaft-zum-uebernutzten-berggebiet [↩]
- Mitscherlich, Alexander, Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden, Frankfurt 1965, S. 27 [↩]
- https://www.irrtum-elektroauto.de/lexikon/bio-kapitalismus/ [↩]
- Adorno, Theodor W., Minima Moralia Frankfurt 1951, S. 42 [↩]
- Mitscherlich, Alexander, Die Unwirtlichkeit unserer Städte. Anstiftung zum Unfrieden, Frankfurt 1965, S. 159 [↩]
- Fuhrhop, Daniel, Verbietet das Bauen! Streitschrift gegen Spekulation, Abriss und Flächenfraß, München 2020, S. 100 [↩]
- Fuhrhop, Daniel, Verbietet das Bauen! München 2020, S. 51 [↩]