Juli 1992: Weltwirtschaftsgipfel in München. Der G7-Gipfel fand vom 6. bis 8. Juli 1992 in der Residenz statt. Dazu schrieb der Journalist Gerhard Bläske: München hat sich zur größten Industriestadt und einem bedeutenden Dienstleistungszentrum entwickelt. Die wichtigsten Industriezweige hier sind Elektrotechnik, Straßenfahrzeugbau, Maschinenbau, die wichtigsten Industriekonzerne Siemens, BMW, MAN, Krauss-Maffei, im Dienstleistungssektor Allianz, Münchner Rück, der Versicherer DAS. Der Standort München ist größter deutscher Versicherungsplatz, zweitgrößter Bankenplatz, zweitgrößte Verlagsstadt der Welt. Hinzu kommen die Hochschulen Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) und Technische Universität München (TUM), Fachhochschulen, Max-Planck- und Fraunhofer-Institute, der neue Flughafen, die neue Messe. Die Kehrseite der Medaille: Infrastruktur-Engpässe, Verkehrschaos, Wohnungsnot und hohe Mieten und Lebenshaltungskosten, Verdrängung kleiner und mittlerer Betriebe aus dem Stadtzentrum. Ein Fazit des Autors: „Ein Ende der Erfolgsgeschichte ist nicht in Sicht. Eher schon droht die Stadt an ihrem Erfolg zu ersticken.“1
Juli 1992: Münchner Grundstücks-Roulette. Der „Gutachterausschuss für die Ermittlung von Grundstückswerten in der Landeshauptstadt München“ konstatierte immer knappere unbebaute Grundstücke. Die Teuerungsrate hat sich 1991 mit 6,2 Prozent etwas abgeschwächt (1989: plus 25 Prozent, 1990 plus 14 Prozent). Ein langjähriger Vergleich: Von 1961 bis 1991 stiegen die Lebenshaltungskosten um den Faktor 3,3, die Grundstückspreise um den Faktor 16. OB Georg Kronawitter (SPD) stellte ein „irrsinnig hohes Preisniveau“ fest.2
Juli 1992: Die Umwandlungswelle rollt. Fünf Werktage nach dem Urteilsspruch von BVerfG und BGH gegen die „Münchner Linie“ zählte Bürgermeister Christian Ude (SPD) bereits 1289 Anträge auf Abgeschlossenheitsbescheinigungen für Altbauten. Ude bezeichnete auf einem außerordentlichen Mietertag im Rathaus die „Münchner Linie“ als wirksamen, aber rechtlich fragwürdigen „Trick“. Bis zum Vorliegen der schriftlichen Begründung werde die städtische Verwaltung keine Abgeschlossenheitsbescheinigung herausgeben. FDP-Landesvorsitzender Max Stadler plädierte für das exklusive „Mieterkaufrecht“ und wies auf die „Zumutbarkeitsklausel“ hin, nach der niemand ohne Ersatz seine Wohnung verlieren dürfe. Er erntete dafür viel Kritik.3
Nachtrag dazu im September 1992: Spekulation mit Altbauten befürchtet. Alle Rathausfraktionen im Münchner Rathaus bis auf die FDP haben die Bundesregierung aufgefordert, gegen die Umwandlungsspekulation mit Altbauten mit einem Gesetz vorzugehen, damit die Altbauten, die nicht heutigen Bauvorschriften entsprechen, auch nicht in Wohnungseigentum umgewandelt werden. Das betrifft in München 200.000 und in Deutschland über eine Million Altbauwohnungen. Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) hat in einem Schreiben geantwortet, dass die Mieter durch Sperr- und Kündigungsfristen „ausreichend geschützt“ seien und kein Grund für Verunsicherung oder Sorge bestehe. Bürgermeister Christian Ude (SPD) äußerte dazu: „Kanzler Kohl lässt die Münchner Mieter im Stich.“ Im Gegensatz zu Kohl habe aber der bayerische Innenminister Edmund Stoiber (CSU) das Problem erkannt und die Verwaltung entsprechend instruiert.4
Juli 1992: Siedlung am Jagdfeld gegen Vertreibung. Der Vorgang passt genau zum Thema Umwandlungswelle, siehe oben. Die Hayhill Holding Ltd. hatte 1990 von der Versicherung Alte Leipziger 280 Wohnungen in Haar zum Quadratmeterpreis von 2500 DM erworben. Nun hat Hayhill Holding Ltd. den Bewohnern ein Angebot zum Kauf ihrer Wohnung gemacht: zum Quadratmeterpreis von 4750 DM: Das ist fast der doppelte Preis innerhalb von zwei Jahren! Landrat Joachim Gillessen (CSU) hat Hayhill Holding Ltd. erst die Abgeschlossenheitsbescheinigung erteilt, diese dann auf Betreiben des Altbürgermeisters Hans Wehrberger (SPD) wieder zurückgenommen.5
- Bläske, Gerhard, Von der Residenzstadt zur Wirtschaftsmetropole, in SZ 3.7.2021 [↩]
- Neff, Berthold, In München werden freie Grundstücke immer knapper, in SZ 3.7.1992 [↩]
- Münster, Thomas, Umwandlungsspekulanten machen mobil, in SZ 10.7.1992 [↩]
- Münster, Thomas, Ude befürchtet Spekulationswelle in Altbauvierteln, in SZ 2.9.1992 [↩]
- Kraus, Alfons, Mieter erwarten Hilfe von Ministern, in SZ 24.7.1992 [↩]