Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Augustenstraße 4

A
Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Brutale Sanierung. Auch in der Augustenstraße 4 wirkte der brachiale „Sanierer“ Christian S., der schon aus der Mannhardtstraße 10, der Siegesstraße 30 und der Brunnstraße 11 bekannt ist. Er war inzwischen Geschäftsführer einer Eigentümerfirma, welche das Anwesen 2012 mit Vorderhaus und Rückgebäude kaufte. Seitz kündigte Modernisierungen an – wie neue Fenster, Dämmungen an der Fassade und Arbeiten am Dach. Dadurch sollten kräftig die Mieten steigen. Eine Wohnung mit etwa 60 qm sollte statt 500 Euro etwa 880 Euro (plus 75 Prozent) kosten. Die Arbeiten sollten im Januar 2013 beginnen; gearbeitet wurde ab Herbst 2012. In einem Schlafzimmer gab es einen Wasserschaden, der fast die Decke zum Einsturz brachte. Zwei Kamine wurden zum Entsetzen des Kaminkehrers demontiert, der eine Lebensbedrohung für die Bewohner feststellte und am 2.12.2012 die Gaszufuhr abstellen ließ. Seitdem gab es nur provisorisch warmes Wasser, geheizt werden musste mit teurem Strom. Die Mieterin unter dem Dach war 70 Jahre alt und wohnte ein halbes Leben in der Augustenstraße 4: Sie muss warmes Wasser auf der Kochplatte bereiten, der Gasherd ging nicht mehr, das Bad war unbenutzbar. Ihr Schlafzimmer hatte seit Ende November 2012 einen (aus vielen anderen Entmietungsfällen hinlänglich bekannten) Wasserschaden durch nicht sachgerechte Abdeckung des offenen Daches: Die Wände und die Einrichtung wurden nass. Dazu war ein Arbeiter von oben auf die Decke getreten. Die alte Dame musste ihre Möbel in das Wohnzimmer bringen und auf dem Sofa übernachten.
Der Mieterverein München war entsetzt: „Der Vermieter versucht alles, damit die Mieter ausziehen.“ Dorothea G., die Anwältin von Christian S., die auch Alleingesellschafterin der Eigentümerfirma ist, bestritt böse Absichten von Seitz und stellte ihn als sozialen Vermieter dar, der sich um „sozialverträgliche Lösung“ bemühe. Die Kamine mussten wegen eines „sehr hohen Versottungsgrades“ abgebaut werden, da sonst eine Gesundheitsgefahr für die Bewohner bestanden hätte. Der Kaminkehrer bestritt dies vehement; er hielt den Abbruch „mit gar nichts zu rechtfertigen“.1

Kripo ermittelte. Gegen den Vermieter Seitz wurde wegen Anfangsverdachts der Baugefährdung, Nötigung und fahrlässiger Körperverletzung ermittelt. Die Mitglieder des BA Maxvorstadt, Oskar Holl und Werner Stadler, stellten Strafanzeige wegen der Demontage der beiden Kamine. Der Kaminkehrer hatte sehr erhöhte CO-Werte an den Durchlauferhitzern gemessen, die sich selbst abgeschaltet hatten. Nach der Bayerischen Bauordnung besteht für den Eigentümer die Verpflichtung, die Kamine wieder ordnungsgemäß herzurichten. Das Umweltreferat kündigte ein Bußgeld von 5000 Euro an, da der Kaminabbau nicht mit dem Kaminkehrer vereinbart war. Der LBK zufolge bestand durch die Stilllegung der Gasleitung keine Gefahr mehr; die Stadt hatte einen Baustopp angeordnet. Es gebe nicht genehmigte Dachgauben, auch gab es keine Genehmigung für die Aufstockung des Rückgebäudes. Der Bauherr verweigerte den Zugang, den sich die LBK nun mit der Polizei verschaffen wollte.
Den Bewohnern war klar, dass sie durch die brutalen Baumaßnahmen und gravierenden Erhöhungen der Miete zum Auszug gezwungen werden sollen, damit weitaus höhere Mieten erzielt oder Eigentumswohnungen verkauft werden könnten. Sie verklagten den Vermieter auf Wiederherstellung des alten Zustands: Die Gerichtsverhandlung wird irgendwann im Frühjahr 2014 sein, bis dahin frieren die Mieter. Der Mieterverein hielt das Vorgehen für einen „klassischen Fall von Entmietung“. Mieter müssten zwar seit 2013 Modernisierungsmaßnahmen dulden, aber in der Augustenstraße handle es sich um Instandhaltungen, die sich nicht auf die Miete umlegen ließen.2

Besuch vom Oberbürgermeister. Dieter Reiter besuchte im Januar 2014 mit dem Münchner SPD-Vorsitzenden Hals-Ulrich Pfaffmann und einem Anwalt des Mietervereins Mieter der Augustenstraße 4. Fazit: Das Haus sei eine einzige Baustelle, die Wohnungen kalt, Küchen und Duschen nicht funktionsfähig. Reiter will ein „Not-Telefon“ der Stadt installieren für Menschen in ähnlichen Notlagen. Vermieter Christian S. warf gegenüber der AZ den Bewohnern „Miet-Terror“ und eine „Lügenkampagne“ vor. (Gautier, Thomas, Das Haus ohne Heizung – jetzt kommt die Politik, in abendzeitung-muenchen.de 27.1.2014))

Rote Fassade, totes Inneres. März 2014: Gerüst abgebaut, nach wie vor keine Heizung, kein Warmwasser, kein Kochherd, defekte Toiletten. Am 24.3.2014 war eine Verhandlung im Amtsgericht: Anwältin Dorothea G. für die Eigentümerpartei, Mieter Klaus L. Das Amtsgericht hatte am 28.2.2014 eine einstweilige Verfügung erlassen, dass der Vermieter keine Gasleitungen und Gaszähler mehr abbauen dürfe. (Er hatte vorher die Kamine abreißen lassen.) Dagegen legte Anwältin G. Widerspruch ein. Inzwischen wurde die Doppel-Fensterscheibe im Schlafzimmer des Klägers L. zerstört. G. äußerte gegenüber der SZ, man gehe davon aus, dass L. die Scheibe mutwillig beschädigt habe – reichlich unlogisch. L. soll mutwillig Ziegel herausgebrochen haben und erhielt eine fristlose Kündigung. Die 70-jährige Mieterin, deren Wohnung geflutet worden war, zog Mitte März 2014 aus. Anwältin G. macht die Mieter für die katastrophalen Zustände im Haus verantwortlich. Christian S. (55) ist seit Kurzem nicht mehr Geschäftsführer der GmbH, sondern der gleichnamige Maximilian S. (23).3

Nächste Kündigungen. Holger Sch. wohnt seit 15 Jahren in der Augustenstraße 4: Er erhielt eine außerordentliche Kündigung, weil er in sein Waschbecken uriniert haben soll, so Rechtsanwältin Dorothea G. Sch. bestritt dies. Einem weiteren Mieter wurde gekündigt: Er soll Seitz mit dem Tod gedroht haben.4

Schwarzbauten. Die LBK hatte zwei Schwarzbauten festgestellt (Einbau von Dachgauben, Anbau im Hof) und den Weiterbau untersagt. Seither versucht sie, die Baustelle zu überprüfen, erhält jedoch keinen Zutritt. Bei zwei Besichtigungen am 24. und 31.1.2014 mussten sich nach Auskunft des Leiters der LBK, Cornelius Mager, die Mitarbeiter mit Polizei und Schlüsseldienst den Zutritt zum Dach erkämpfen. Anwältin Dorothea G. hatte nicht aufgesperrt, weil das Dachgeschoss angeblich vermietet sei. Die LBK beurteilte diese angebliche Wohnung als „Fake-Wohnung“, sie war zur Hälfte Baustelle. Beim zweiten Termin am 31.1. musste die LBK die Feuerwehr holen: Es waren 15 Mitarbeiter der LBK, des Schlüsseldienstes, der Polizei und der Feuerwehr im Einsatz. Die LBK stellte fest, dass trotz Baustopps weitergebaut worden war und erließ ein Zwangsgeld in fünfstelliger Höhe. Ein Bauantrag wurde nun eingereicht, der Baustopp gelte aber weiter. Auch bei der dritten Begehung am 11.4.2014 wurde ein Weiterbau festgestellt: Die LBK verhängte das nunmehr dritte Zwangsgeld. Das Dachgeschoss war nicht zugänglich, eine Statik lag nicht vor. Die fiktive Mieterin hat laut Rechtsanwältin G. Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch gestellt und eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht.
Die LBK kann nur bei Gefahr im Verzug oder bei Schwarzbauten eingreifen. Die Mieter müssen sich mit dem Mietrecht wehren. Ein Bewohner hatte eine einstweilige Verfügung gegen den Vermieter wegen des Ausfalls der Heizung beantragt. Das Amtsgericht hat dem Vermieter Ende Februar 2014 untersagt, die Gasversorgung zu unterbrechen. Da waren aber schon die Gasleitungen im Treppenhaus abgebaut; der Kaminkehrer hatte wegen Gefährdung die Gasleitung im Dezember 2013 abstellen lassen. Deshalb hob das Gericht seine Verfügung gegen den Vermieter Ende März 2014 auf.4

Nächste Verhandlung im September 2014. Mieter Sch. hatte den Vermieter Christian S. verklagt, da seine Wohnung durch den Ausfall der Heizung und des Warmwassers unbewohnbar war. Im Juli 2014 hatten sich beide auf einen Vergleich geeinigt: Sch. zieht aus und erhält 19.000 Euro Abfindung. Die GmbH-Gesellschafterin hatte diesen Vergleich selbst verhandelt, widerrief ihn aber kurz darauf. In der Verhandlung schlug der Richter 15.000 Euro vor. Christian S: „10.000“. Der Richter: „13.000“. Christian S.: „10.000“ und sagte, die Höhe sei ungerecht gegenüber den ausgezogenen Mietern: „Die haben ja viel zu wenig bekommen.“ Die Rentnerin in der Dachwohnung habe 1500 Euro bekommen. Schließlich war S. doch mit 13.000 Euro einverstanden, forderte aber noch die Septembermiete von 540 Euro, obwohl die Wohnung eine Baustelle war. Der Richter wird laut. Endergebnis: eine Abfindung von 12.800 Euro.5

Seitz verklagt Bild-Zeitung. Das Boulevardblatt hatte Ende Januar 2014 über die Augustenstraße 4 berichtet und Seitz Münchens kältesten Wohnungssanierer bzw. „Eiskalt-Sanierer“ und die Augustenstraße 4 eine „Brutalo-Baustelle“ genannt, wo Seitz die Mieter einer Kältefolter aussetze. Seitz verklagte daraufhin Bild und den Journalisten auf Unterlassung sowie Schmerzensgeld und Schadensersatz. Dazu stellte Seitz eine Strafanzeige wegen Verleumdung. Bei einer Verhandlung im Januar 2014 hatte das Gericht in einer Einstweiligen Verfügung die Zeitung verurteilt, diverse Äußerungen über Seitz zu unterlassen. Bild hatte widersprochen: Die Hauptsacheverhandlung fand am 8.9.2014 statt. Das Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 Euro wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte wollte Seitz an eine gemeinnützige Organisation spenden. Der gefundene Vergleich sah vor, dass Bild einige Behauptungen nicht mehr wiederholen darf, die Prozesskosten geteilt werden sollten und Seitz die Strafanzeige zurückziehen soll.6

Der letzte Prozess? Im Dezember 2013 ließ Seitz die beiden Kamine in der Augustenstraße 4 abreißen. Die Staatsanwaltschaft klagte auf Baugefährdung und Nötigung. Anwältin Dorothea G. erklärte, die Kamine seien eine Gefahr für die Bewohner gewesen. Seitz habe das Haus mit Verlust verkauft und sei einer Hetzjagd ausgesetzt gewesen. Das Urteil lautete nicht auf Haft, sondern auf eine Geldstrafe mit 90 Tagessätzen à 80 Euro, total 7200 Euro. Der Geschäftsführer des Mietervereins, Volker Raststätter: „Wir halten das Urteil für zu milde – in Anbetracht der physischen und psychischen Beeinträchtigungen der Mieter.“7

Vgl. auch: Brunnstraße 11, Mannhardtstraße 10, Siegesstraße 30

  1. Kastner, Bernd, Mieter in Lebensgefahr gebracht, in suedeutsche.de 21.12.2013 []
  2. Böllert, Susanne, Augustenstraße: Polizei ermittelt gegen Vermieter, in merkur.de 23.1.2014 []
  3. Kastner, Bernd, Glück und Glas, wie leicht bricht das, in SZ 25.3.2014 []
  4. Kastner, Bernd, Hinter der Fassade, in SZ 14.4.2014 [] []
  5. Kastner, Bernds, Ein Mann mit Prinzipien, in SZ 10.9.2014 []
  6. Müller-Jentsch, Schluss mit der Schmähkritik, in SZ 9.9.2014 []
  7. Gerke, Ann-Kathrin, Mini-Strafe für miesen Vermieter, in bild.de 19,2.2019 []
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