Albert Camus schrieb 1942 das Buch Der Mythos des Sisyphos. Sisyphos wurde in der griechischen Sage verurteilt, einen Felsblock auf den Berg zu wälzen, der größer als er selbst war und dann jedes Mal kurz vor dem Gipfel wieder hinabrollte. Die nach ihm benannte Sisyphosarbeit lässt sich auch mit der Aufgabe vergleichen, in einer Stadt wie München bezahlbaren Wohnraum zu schaffen, wenn gleichzeitig grenzenlos neue Arbeitsplätze geschaffen werden, deren Neubürger wieder die neuen Wohnungen belegen. Somit könnte man in München und anderswo Der Mythos des Bezahlbahren Wohnraums schreiben.
Die Verantwortlichen für die Münchner Stadtpolitik sind seit Jahrzehnten süchtig nach Wachstum und damit nach der Droge Arbeitsplätze. Unaufhörlich werden bis heute neue Arbeitsplätze nach München geholt – und damit bezahlbarer Wohnungsnot verknappt. Der Schlüssel beträgt in etwa: 1 Arbeitsplatz = 1 Wohnung. Freiham und SEM Nordost: 30.000 Bewohner, etwa 10.000 Wohnungen – und 10.000 Arbeitsplätze. Bei diesem Nullsummenspiel bleibt keine Wohnung übrig, um Wohnungsnot zu lösen: geschweige denn ausreichend bezahlbarer Wohnraum.
Stadtrat Dirk Höpner von der München-Liste und Sprecher des Bündnisses München Nord berichtete, dass z. B. 2017 rund 8000 Wohnungen in München gebaut wurden; gleichzeitig sind 27.000 Arbeitsplätze entstanden: Der forcierte Wohnungsbau reicht nicht aus, um den noch forcierteren Zuzug von neuen Arbeitsplätzen abzudecken: Die Unterdeckung ist beträchtlich.1
Totschlagargument. Der „bezahlbare Wohnraum“ ist – wie der Wohnungsbau -, ein Totschlagargument geworden, mit dem alles genehmigt wird. Damit lassen sich brutalste Eingriffe in Natur und Grünflächen, Innenhöfe und Hinterhöfe rechtfertigen, dazu die großflächige Bebauung und Versiegelung bislang unbebauter Flächen, siehe die SEM Nord und die SEM Nordost. Der Verlust der letzten freien Flächen im Münchner Stadtgebiet, die gravierenden Auswirkungen von Versiegelung und Zubau von Kaltluftschneisen werden hingenommen mit dem fragwürdigen Argument, bezahlbaren Wohnraum schaffen zu wollen. Nie wird der bezahlbare Wohnraum ausreichen, weil der Zuzug neuer Unternehmen und Arbeitsplätze ihn mehr als egalisiert.
Sisyphos und seine Arbeit eben.
Mehr Wohnungen, mehr Wohnungsnot? 2018 wurden 286.000 Wohnungen gebaut, gleichzeitig explodieren die Mieten. Für Daniel Fuhrhop, Autor von Verbietet das Bauen! ist das ein eindeutiges Indiz: „Neubau löst nicht die Probleme des Wohnungsmarktes, es schafft Probleme. Wohnungen fehlen, gerade weil viel gebaut und investiert wird.“2 – „Nach Jahrzehnten des Bauens von Hunderttausenden neuen Wohnungen wird trotzdem immer wieder eine Wohnungsnot ausgerufen. Das beweist dass mehr Bauen keine Probleme löst, sondern neue schafft.“3
Vgl.: Totschlagargument Wohnungsbau, Verbietet das Bauen!
- Fraune, B., Hoefer, C., DPA, in SZ 28.9.2018 [↩]
- Fuhrhop, Daniel, Verbietet das Bauen! Streitschrift gegen Spekulation, Abriss und Flächenfraß, München 2020, S. 7 [↩]
- Fuhrhop, Daniel, Verbietet das Bauen! Streitschrift gegen Spekulation, Abriss und Flächenfraß, München 2020, S. 73 [↩]