Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Domagk-Ateliers

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Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Aktualisiert 3.7.2023

1936 wurde in Nordschwabing die Funkkaserne gebaut. Diesen Standort hat die Bundeswehr 1993 aufgegeben. Dort existierte dann die damals größte Künstlerkolonie Europas an der Domagkstraße 33: mit etwa 250 Atelierräumen, Studios, Proberäumen. Seit Mai 2009 firmieren die verbliebenen 101 Ateliers, zwei Gastateliers und ein Ausstellungsraum unter dem Namen „Städtisches Atelierhaus am Domagkpark”. (Aus Wikipedia)

April 2004: Zukunft der Domagk-Ateliers. Laut Stadtbaurätin Christiane Thalgott sollen auf dem ehemaligen Kasernen-Gelände Wohn- und Gewerbeflächen entstehen. Für Ateliers stehen derzeit etwa 20.000 qm zur Verfügung. Künftige Ateliers werden im Haus Nr. 50 im Osten des ehemaligen Kasernengeländes untergebracht, dazu kommen der Hof und angrenzende Wohnungen.12

Im Oktober 2004 wurde bekannt, dass das Bundesvermögensamt (BVA) die Verwaltung der Domagk-Ateliers um 1.1.2005 an einen Generalmieter abgeben wird: Christoph Fisser, der 1992 die „Münchner Lichterkette“ mitgegründet hat, Chef der Studio- und Atelierbetriebe Schwabing ist und im Juli 2004 die Filmstudios in Babelsberg übernahm.

Fünf ehrenamtliche Kunstvereine. Die Domagk-Ateliers werden von fünf Kunstvereinen verwaltet: Verein für Atelierförderung und Kunstveranstaltungen VAK, Kunstverein Domagk KvD, Aktive Kunst- und Kulturunterstützung AKKU, Domagk Kunstunterstützung Doku und Verein Interkunst.3 Diese beraten seitdem über Fissers Mietkonditionen. Die Mietverträge sollen weitgehend gleich bleiben, aber die Kaution soll auf bis zu neun Monatsmieten erhöht oder an eine persönliche Haftung der Vereinsvorstände geknüpft werden. Bisher waren drei Monatsmieten zu zahlen: Nun kämen 450.000 Euro hinzu. Fissers Mietvorverträge sehen auch nur eine Nutzung als Büro- und Lagerflächen, aber nicht als Atelier vor. Fisser wird Privatmieter der Funkkaserne und haftet dem Bund persönlich. (Er hat auch schon vom BVA Areale bei der Kronprinz-Ruprecht-Kaserne und der Luitpold-Kaserne gemietet.) Fisser schlug Einzelverträge mit den 190 Künstlern mit drei Monatsmieten Kaution vor: Das wiederum wollten die Kunstvereine nicht, die über die Vergabe der Ateliers bestimmen möchten. Bereits im Oktober war die Überprüfung des maroden Kanalsystems bekannt, das seitens der BVA zur fristlosen Kündigung führen könnte.4

Wer kann bleiben? Im November 2004 lud der Verein Doku zu einer Podiumsdiskussion über die Zukunft der Ateliers ein, wenn 2007 das Areal bebaut wird. Die Frage des Mietvertrags mit dem Generalmieter Fisser war fast geklärt. Der Stadtrat hatte 2003 entschieden, dass die Atelierfläche von aktuell 20.000 qm im Südosten des ehemaligen Kasernengeländes erhalten bleiben soll. Dem widersprach der Leiter der Münchner Stadtplanung, Franz Meyer: Dies sei „weit entfernt von der Realität“. Der Erhalt der gesamten Künstlerkolonie mit den niedrigen Mieten würde die Stadt Geld koste, das sie nicht habe. Der Vorsitzende des BA Schwabing-Freimann, Werner Lederer-Piloty (SPD), vermisste seitens der Stadt Fachkompetenz. Im Gespräch war eine von Künstlern erdachte „Cité des Artists“. Gedacht war auch an Sponsoren, z. B. die Unternehmensberatung Roland Berger, die künftig in den nahen Highlight Towers residieren würden.5

Künstler-Genossenschaft? Das Planungsreferat hat die Atelierfläche bereits von 20.000 auf 6000 qm reduziert. Die fünf Kunstvereine forderten mindestens das Dreifache an Fläche, also den Ist-Zustand. Die Künstler entwarfen ein Genossenschaftsmodell, um Gebäude wie das Haus Nr. 50 zu kaufen. Die vier Kunstvereine Interkunst, VAK, KVD und AKKU schlossen sich dafür zu einer Interessensgemeinschaft zusammen.6

Ende im März 2005. Im Dezember 2004 wurde dann bekannt, dass 3000 Künstler aus 34 Ländern bis März 2005 ihre Ateliers verlassen müssen: Das 14 Kilometer lange Kanalnetz war zu 80 bis 90 Prozent undicht, sodass die Stadt dem Bund als Eigentümer des etwa 32 Hektar großen Geländes die weitere Nutzung verbieten musste.7 Die Sanierung würde 3 Millionen DM kosten: Dies sei für eine dreijährige Zwischennutzung (bis Baubeginn) nicht rentabel. Dem Generalmieter bis 2007, Fisser, wurde am 17.12.2004 deshalb fristlos gekündigt. Der bisherige Eigentümer war das Bundesvermögensamt, das zum 1.1.2005 aufgelöst wird. Dessen Nachfolger und neuer Eigentümer wird die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben.8

Die Bewerbungsfrist. Die Künstler in den Ateliers wehrten sich im September 2013 gegen den im Turnus von fünf Jahren stattfindenden Bewerbungsmodus der Stadt, dem sie im Mietvertrag vor etwa fünf Jahren zugestimmt hatten. Die Mietverträge laufen Ende März 2014 aus. Anton Biebl vom Kulturreferat (und seit Juli 2019 neuer Kulturreferent) bezog sich deshalb auf den Mietvertrag, der nach fünf Jahren endet. Auch der BA lehnte mehrheitlich eine Unterstützung des Künstlerprotestes ab.9

Die nächsten Kündigungen. Nach weiteren fünf Jahren tagte die vom Stadtrat ernannte Jury, die über die Vergabe der 95 Ateliers, fünf Proberäume für Musik und zwei Gastateliers im Rotationsverfahren entscheidet. Die Mitglieder der Jury sind Stadträte, Künstler diverser Verbände, Vertreter von Museen, Galerien und Kunstpreisträger. 57 Künstler müssen ihr Atelier räumen.10

Ist-Zustand. „Seit 2009 ist das Haus 50 der ehemaligen Kasernengebäude auf dem Gelände der Domagkstraße 33 das größte städtische Atelierhaus Münchens. Nach der Sanierung und dem Ausbau des Südflügels der zweigeschossigen, u-förmigen Anlage stehen 101 Arbeitsateliers unterschiedlichen Typs zur Verfügung, in denen ca. 140 Künstlerinnen und Künstler arbeiten. Die Ateliers werden jeweils per Juryverfahren, organisiert vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München, für eine Dauer von 5 Jahren mit der Option auf Verlängerung an in München lebende Künstlerinnen und Künstler vermietet. Zusätzlich zum Ausstellungsraum, der Halle 50, mit 160 qm Ausstellungsfläche, stehen im Haus auch zwei Gastateliers mit je 19 qm für einen internationalen Künstleraustausch zur Verfügung. Projektanträge für deren Nutzung für eine Dauer von 1-3 Monaten können an das Kulturreferat (siehe Kontakte Atelierförderung) gerichtet werden. (https://www.domagkateliers.com/; Uebersicht-Raeume-Domagk.pdf)
Der Hauptvertragsnehmer Domagkateliers gGmbH ist ein Zusammenschluss der vier Kunstvereine Interkunst, VAK, KVD und AKKU: Er bezahlt die Gesamtmiete und reicht Miete und Nebenkosten an die Künstler weiter.11
Gebaut werden soll noch auf Vorschlag des BA ein bis zu 60 Meter hoher Atelier-Turm mit etwa 100 weiteren Ateliers. Der BA könnte sich eine Lösung mit einem Investor als Partner der Stadt vorstellen.12

30 Jahre Domagk-Ateliers. Vom 23. bis 25.6.2023 wurden 30 Jahre Domagkateliers und die 30. Ateliertage gefeiert. In Halle 50 wurden in einer Sonderausstellung Werke von über 60 früheren Domagk-Künstlern gezeigt. Die Künstler leiden unter dem Rotationsverfahren: Alle fünf Jahre werden von einer Jury 30 Prozent der Atelierplätze neu vergeben. Außerdem plante das Kulturreferat einen Zweckbau im grünen Innenhof.13

  1. Brunner, Ingrid, … was passiert mit den Domagk-Ateliers? in SZ 16.4.2004 []
  2. Wikipedia []
  3. Runge, Evelyn, Die Kunst soll bleiben in SZ 29.10.2004 []
  4. Runge, Evelyn, Kastner, Bernd, Die Angst geht um im Paradies, in SZ 29.10.2004 []
  5. Kastner, Bernd, Kaserne, Kunst und Konversion, in SZ 15.11.2004 []
  6. Kronewiter, Thomas, Künstler diskutieren ein Genossenschaftsmodell, in SZ 14.12.2004 []
  7. Runge, Evelyn, Kastner, Bernd Aus für die Domagk-Ateliers, in SZ 17.12.2004 []
  8. Runge, Evelyn, Umweltskandal in der Funkkaserne, in SZ 18.12.2004 []
  9. Kronewiter, Thomas, Die letzten Tage der Kolonie, in SZ 26.9.2013 []
  10. Czeguhn, Jutta, Vertreibung aus dem Reservat, in SZ 16.6.2018 []
  11. Mühleisen, Stefan, Nur eine Zwischenrechnung, in SZ 16.1.2020 []
  12. Mühleisen, Stefan, Kunst nach oben, in SZ 1.7.2020 []
  13. Moises, Jürgen, Wie die Zeit vergeht, in SZ 22.6.2023 []
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