Am Freitagnachmittag, 15.2.2019 rückte der Fälltrupp an der Frihindorfstraße 8 in Obermenzing an. Auf dem 2200 qm großen Grundstück standen sieben Bäume, die unter die Baumschutzverordnung (ab 80 Zentimeter Stammdurchmesser in einem Meter Höhe) gefallen wären: eine alte Linde, zwei Borken und vier Kiefern, die bis zu 180 Zentimeter Stammdurchmesser hatten. Sie waren Heimat u. a. für den Großen Abendsegler, eine Fledermausart, die unter Naturschutz steht. Ein Nachbar, Ernst Obermeier, der ein Büro für ökologische Feldforschung betrieb, hatte noch von den Behörden erfahren, dass keine Fällgenehmigung vorlag: vergebens. Für ihn war klar, warum die Fällarbeiten am Freitagnachmittag durchgeführt wurden: Da sind städtische Behörden schon im Wochenende. Zuerst wurden Keile aus den Stämmen herausgesägt: das endgültige Todesurteil für die Bäume. Dann wurden sie gefällt, Buschwerk und alle Pflanzen wurden ebenfalls beseitigt. Am Samstag, 16.2.2019, wurden auch noch die Wurzelstöcke abgefräst, um die Rekonstruktion des Baumbestandes zu verhindern, also Beweise zu vernichten. Die möglichen Bußgelder gehen bis 50.000 Euro: theoretisch. 2018 gab es aber nur Bußgelder im unteren dreistelligen Bereich.
Der Grünflächenverein Obermenzing und der BA 21 Pasing – Obermenzing wurden aktiv. Die Untere Naturschutzbehörde empfahl in solchen Fällen, die Polizei zu alarmieren, die auch eine Einstellung der Arbeiten verfügen könne.
Stadtviertel wie Obermenzing haben noch einen Gartenstadt-Charakter, den sie zunehmend durch immer häufigere Rodungsaktionen wie diese verlieren. Stadtrat Frieder Vogelsgesang (CSU) äußerte deshalb zur Baumfäll-Aktion in der Frihindorfstraße 8: „Bauen in München ist offenbar derart lukrativ, dass Strafen bewusst in Kauf genommen werden, um freigeräumte Grundstücke sodann optimal auszunutzen.“123
Münchner Baumschutzverordnung. Die erste Münchner Baumschutzverordnung wurde 1976 erlassen: Alle Bäume mit einem Stammumfang ab 80 Zentimeter, gemessen in einem Meter Höhe, oder mehrstämmige Bäume ab 40 Zentimeter Stammumfang werden geschützt.4
Polizei hat knappes Personal. Die Untere Naturschutzbehörde hatte empfohlen, in akuten Fällen von Baumfrevel nicht ihr Amt einzuschalten, sondern gleich die Polizei zu alarmieren. Dem widersprach der Polizeiinspektionsleiter bei einer Pasinger Bürgerversammlung: Durch die Personalknappheit könnte sich ein Einsatz verzögern. Da sich illegale Baumfällungen in München häuften, forderte die CSU-Fraktion in solchen Fällen im Münchner Stadtrat ein hartes Durchgreifen und ein höheres Strafmaß.5
Bürgerversammlung am 26.3.2019: Erhalt des Hauses gefordert. Am 26.3.2019 fand die Bürgerversammlung des Stadtbezirks 21 mit rund 300 Teilnehmern statt. Dort wurde der Verlust des Gartenstadtcharakters von Obermenzing durch Gentrifizierung aufgezeigt: Durch die Wertsteigerung der Grundstücke müssen Erben verkaufen. Das maximal ausgenutzte Baurecht bedeutet mehr Autos und Tiefgaragen, die wiederum den Baumbestand reduzieren. Redner verwiesen auf die Totalfällung an der Frihindorfstraße 8 und forderten eine Erhöhung des Bußgeldes von 50.000 auf 500.000 Euro oder den Wegfall der Baugenehmigung bei illegalen Fällungen.6
Erhalt des Gebäudes Frihindorfstraße 8 empfohlen. Die Bürgerversammlung empfahl am 26.3.2019 den Erhalt des Gebäudes Frihindorfstraße 8. Am 30.7.2019 behandelte der BA 21 Pasing – Obermenzing diese Empfehlung. Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung führte dazu aus: Das Einfamilienhaus Frihindorfstraße 8 wurde 1974 genehmigt und hat keine Denkmaleigenschaft; der Abbruch ist verfahrensfrei zulässig. Der LBK liegt aktuell weder ein Bauantrag noch ein Antrag auf Vorbescheid vor. Das Referat hat wegen der ungenehmigten Totalrodung am 15.2.2019 die Untere Naturschutzbehörde eingeschaltet. Diese hat den Grundstückseigentümer und die ausführende Firma angehört und wird eine Ersatzpflanzungsverfügung erlassen. Die Stadtbaurätin Elisabeth Merk erklärte: Gegen einen möglichen Abriss des Gebäudes hat die LH München keine rechtliche Handhabe. Wegen der massiven Verstöße gegen die Baumschutzverordnung werden entsprechende Ersatzpflanzungen verordnet.7
Juni 2019: Konsequenzen. Die Totalfällung wurde als „schwerer Verstoß“ gegen die Baumschutzverordnung gewertet. Von den Behörden wurde eine Ersatzpflanzung angeordnet. Das Planungsreferat hat als „Maßnahmen zur Stärkung des Baumschutzes in München – Aktion Kontrolle Grün“ drei neue Stellen eingerichtet. Die Untere Naturschutzbehörde bearbeitet jährlich 4000 Anträge auf Einzelbaumfällungen, 500 Fällanträge (2300 Bäume betreffend) laufen im Rahmen von Bauanträgen. Das Planungsreferat versicherte, dass allen Verstößen die von aufmerksamen Nachbarn gemeldet werden, nachgegangen würde. Hinweise könnten an das Servicezentrum des Planungsreferats gerichtet werden: u. a. Freitag von 9 bis 12 Uhr. Deshalb wurde die Totalfällung in der Frihindorfstraße am Freitagnachmittag und am Samstag durchgeführt.8
Initiative gegen Baumfällungen. Eine neue Initiative wandte sich gegen Kahlschlag und Fällungen und hat 400 Unterschriften von Unterstützern gesammelt. Die Obermenzingerin Karin Hölscher stellte fest, dass die Stadt mehr Gestaltungsspielraum habe und größere Ersatzpflanzungen fordern oder bei illegalen Fällungen einen Baustopp verhängen könne. Thorsten Vogel vom Planungsreferat bestätigte das Prinzip Bau vor Baum: „Der Eigentümer hat dann einen Anspruch auf die Erteilung des Baurechts.“ So soll z. B. in der Koppstraße 4 in Obersendling ein neues Geschäfts- und Bürogebäude gebaut werden: 26 Bäume, davon drei mit einem Stammdurchmesser von über zwei Metern, sollen gefällt werden.9
Antrag auf Neubau. Im Juli 2020 reichte der für die Totalfällung verantwortliche Eigentümer der Frihindorfstraße 8 den Bauantrag für den Neubau eines Einfamilienhauses und eines Doppelhauses ein. Der BA 21 lehnte den Bauantrag ab, da die Bauweise zu massiv sei. Die CSU-Fraktion nannte die Baumfällungen als Hauptgrund für die Ablehnung. Ein SPD-Mitglied des BA legte Wert auf fachliche Argumente. Schließlich lehnte der BA das Vorhaben wegen der massiveren Bauweise ab, wies aber in seiner Stellungnahme auch auf die illegale Totalrodung hin. Der BA wollte auch wissen, wie hoch die Strafe hierfür ausfallen wird.10
BA 21 fordert härtere Strafen. Im September 2019 hatte ein Antrag des Münchner Stadtrats gefordert, im Fall von illegalen Fällungen die Baugenehmigung zu verzögern oder zu verweigern. Das Planungsreferat hatte dies abgelehnt, da eine solche „Nebenstrafe“ mit dem Grundrecht auf Schutz des Eigentums kollidiere. Der BA Pasing – Obermenzing forderte dann im März 2021 eine deutliche Erhöhung des Bußgeld-Maximums von 50.000 Euro für illegale Baumfällungen. Außerdem sollten keine Grundstücksgeschäfte mehr mit Bauträgern erfolgen, die für illegale Baumfällungen verantwortlich sind. Im ersten Quartal 2021 plant der Stadtrat einen Sammelbeschluss, um einen verbesserten Baumschutz in München zu erreichen.11
- Czeguhn, Jutta, Strafmaß schreckt nicht ausreichend ab, in SZ 26.2.2019 [↩]
- von Steinburg, Eva, Illegale Fällungen in München: Braucht es einen Baum-Notruf?, in abendzeitung-muenchen.de 20.2.2019 [↩]
- Arbeiter eilten mit Motorsägen auf Grundstück: Zahlreiche Bäume gefällt – ohne Genehmigung, in tz.de 7.3.2019 [↩]
- https://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Referat-fuer-Stadtplanung-und-Bauordnung/Natur-Landschafts-Baumschutz/Baumschutz/Baumschutz.html [↩]
- Höhere Strafen bei illegalen Rodungen, in SZ 15.3.2019 [↩]
- Czeguhn, Jutta, Kahlschlag und Luftbrücken, in SZ 28.3.2019 [↩]
- Referat für Stadtplanung und Bauordnung, Empfehlung Nr. 14-20 / E 02544 der Bürgerversammlung des Stadtbezirks 21 Pasing-Obermenzing am 26.3.2019, München 30.7.2019 [↩]
- Czeguhn, Jutta, Aktion Kontrolle Grün, in SZ 17.6.2019 [↩]
- Schwarzbauer, Andreas, Kahlschlag in Sendling, in hallo-muenchen.de 18.8.2019 [↩]
- Schwarzbauer, Andreas, Bezirksausschuss lehnt in Obermenzing Neubau nach Totalrodung ab, in hallo-muenchen.de 29.7.2020 [↩]
- Baumfrevler sollen büßen, in SZ 11.3.2021 [↩]
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