Aktualisiert 21.7.2023
Auch hier hat sich das Problem Versiegelung im Lauf der Zeit über München hinaus erweitert.
September 1988: Versiegelungs-Rekord. München hält mit 55,6 Prozent den deutschen Versiegelungsrekord: Von 31.039 Hektar Stadtgebiet sind 17.257 Hektar Verkehrsflächen und Bauten. Und viele „Grünflächen“ sind kommende Baulücken. Das hat Auswirkungen auf das Stadtklima, die Entwässerung und die Gesundheit. Die Temperaturunterschiede zwischen der dicht bebauten Innenstadt und den grüneren Stadtvierteln betragen bis zu acht Grad. Die fehlende Verdunstung im Innenbereich führt zu einer geringeren Luftfeuchtigkeit und lässt Schad- und Schwebstoffe länger in der Luft verweilen und die Atemwegserkrankungen ansteigen. München hat bis zu 200 Tage Inversionswetterlagen: Da kann der Kubikmeter Luft bis zu 200.000 Partikel Feinstaub enthalten. Die SPD forderte deswegen künftig die geringstmögliche Versiegelung im Wohnungsbau. Sie nennt einen Versiegelungsgrad von bis zu 99,85 Prozent im Euro-Industriepark, in dem es acht Hektar asphaltierte Parkfläche gibt. Den Umweltreferenten Rüdiger Schweikl (CSU) hatte die SPD in einem Antrag vom September 1984 aufgefordert, einen Katalog von Entsiegelungsmaßnahmen vorzulegen: Bis jetzt sei nichts passiert. Die SPD sprach von der Mehrheit im Stadtrat als „Vereinigte Betonlobby“. Die Grünen forderten daraufhin von der SPD Unterstützung im Kampf gegen landschaftszerstörende Pläne wie A 99, Freiham, Langwied) und für den Grünen-Antrag vom 29.4.1986 über die Bodenschutzkonzeption der Bundesregierung.1
Juni 1989: Münchens Versiegelung geht weiter. Bereits im Juni 1989 war bekannt, dass München zu 55 Prozent mit Beton und Asphalt versiegelt ist: Insgesamt waren es bis dato mehr als 17.000 Hektar von total 31.045 Hektar innerhalb der Stadtgrenze. Der Anteil der Versiegelung stieg von 1970 bis 1980 um 1,8 Prozent; von 1981 bis 1989 stieg er um 3,1 Prozent auf insgesamt 55,3 Prozent. 1970 war ein Drittel der Fläche Münchens Äcker, Wiesen, Weiden und Gärten: 1989 waren es nur noch 18 Prozent.2
Materialien zur aktuellen Versiegelung in München u. a. unter: https://www.muenchen.de/rathaus/Stadtverwaltung/Referat-fuer-Gesundheit-und-Umwelt/Wasser_und_Boden/Versiegelung.
November 1994: Neues von der Versiegelungs-Hauptstadt. In München sind inzwischen 57 Prozent des Stadtgebiets unter Beton und Asphalt begraben. Köln und Frankfurt liegen um 15 Prozent, Hamburg um 19 Prozent besser als München. Von der Statistik stehen jedem Münchner 30 qm öffentliche Grünfläche zur Verfügung. München hat die höchste Einwohnerdichte – im Stadtgebiet und im Ballungsraum. Der Anteil der Verkehrsflächen liegt bei 17 Prozent. Selbst die unlogischsten Asphaltierungen haben Bestandsschutz. Nun hat ein gemeinsamer Ausschuss von Stadtplanung und Umweltschutz ein Gegenkonzept erarbeitet. Es könnten aber nur zwei Prozent entsiegelt werden. Aber: In den Jahren 1992 und 1993 stieg die bebaute Fläche wieder um 2,1 Prozent.3
LBV: Stadtviertel werden zu Betonwüsten. Der LBV warnte vor fortschreitender Versiegelung des Bodens vornehmlich durch Wohnbebauung: Ganze Stadtviertel würden zu Betonwüsten. In München gebe es 350 kartierte Biotope, wobei nur 60 gesichert und 290 gefährdet seien. 1993 wurden zehn Prozent von insgesamt 3400 Biotop-Flächen abgebaggert. Der LBV rief zur Ausweisung aller kartierten Biotope als geschützte Landschaftsbestandteile auf.4
Kleines Beispiel aus jüngster Zeit: Im Februar 2021 wollte ich an der Allacher- und Pfarrer-Grimm-Straße ein Biotop fotografieren. Die 8300 qm große Grünfläche ist seit 1998 als Biotop ausgewiesen. Hier gab es streng geschützte Insekten und Reptilien. Die Stadtverwaltung hat diese Einstufung aber nie vollzogen: Gleichzeitig erklärte sie Anwohnern, dass die Grünfläche kein Baugrund sei. Nun sollen hier 27 Reihenhäuser mit 2900 qm Wohnfläche, 34 Tiefgaragen-Stellplätze und eine Kita gebaut werden. (Vgl. Chronologie 15.10.2020) Als ich das Biotop fotografieren wollte, war die Erde schon abgetragen: Der Baubeginn stand unmittelbar bevor.
Dezember 2000: Versiegelung im Bannwald. In den kommenden Jahren sollen im Umfeld von München 400.000 qm für Gewerbeansiedlungen überbaut werden. Der BN München und das Forstamt München listeten die Flächen in den Gemeinden Planegg, Neuried, Taufkirchen, Grünwald und Oberschleißheim auf: Seit den achtziger Jahren waren sie als Bannwald ausgewiesen. In der Gemeinde Planegg sollen für die Erweiterung des Biotech-Zentrums Martinsried südlich des Max-Planck-Instituts 200.000 qm Bannwald gefällt werden. In Neuried belegt ein Wertstoffhof 1000 bis 2000 qm Bannwald. Der BN bezeichnete die Ansiedlung einer Ikea-Niederlassung in den Gemeinden Thalkirchen und Brunntal als „neuesten Paukenschlag“. Fazit des BN: „Die Versiegelung im Raum München schreitet fort.“5
Januar 2002: Grüne gegen Flächenfraß. MdL Susanna Tausendfreund (Bündnis 90/Die Grünen) wandte sich mit anderen Grünen gegen den Flächenfraß im Landkreis München, das ihrer Ansicht nach größte Umweltproblem in der Region. Auf der Homepage der Grünen war das Thema „Landschaft im Ausverkauf“ mit fünf Bauentwicklungs-Schwerpunkten dargestellt. Aufrufen ließen sich die Siedlungsareale bei Garching, Ismaning, Ober- und Unterschleißheim, Aschheim, Kirchheim, dem Hachinger Tal und dem Würmtal. Die blaue Farbe signalisierte den Landschaftsverlust durch Gewerbe- und Wohngebiete, mit Rot wurden künftige Bauplätze gekennzeichnet. In den vergangenen 20 Jahren wurden 1000 Hektar im Landkreis München zugebaut, weitere 900 Hektar sind künftig von Überbauung und Versiegelung bedroht.6
August 2003: Flächenverbrauch der Gewerbegebiete. Die Landtagskandidatin der Grünen, Margarete Bause, wies im Wahlkampf auf den „gigantischen Flächenverbrauch“ der Gewerbegebiete hin. Es herrsche ein „ruinöser Wettbewerb der Kommunen bei der Ansiedlung von Gewerbegebieten“, die sich gegenseitig unterbieten würden, um mehr Gewerbe anzusiedeln. In Bayern würden jeden Tag 28 Hektar Fläche versiegelt. Bause schlug eine Koordination der Gemeinden vor und Nachverdichtung bzw. Wiederverwendung leer stehender Gewerbebauten.7
Auch 2017: München führt bei Versiegelungsgrad. München hat 4900 Einwohner pro qkm Stadtfläche. (Berlin: 3950; Köln: 2641; Hamburg 2367). In München ist das Verhältnis der Flächen für Bebauungsnutzung zu Flächen ohne Bebauung 60 : 40. (Berlin: 56 : 44; Köln: 50 : 50; Hamburg: 50 : 50.) Der Versiegelungsgrad liegt in München bei 46 Prozent. (Berlin: 35 Prozent; Hamburg: 30 Prozent).8
Für die Bodennutzungsverteilung in München gibt die Statistik mit Stand März 2017 an: 44 % Gebäude und zugehörige Freiflächen, 17 % Verkehrsflächen: Straßen, Wege, Plätze, Schienen; 22 % Erholungsflächen: Sportplätze, Grün-, Wald- und Wasserflächen, 15 % Landwirtschaftsflächen, 2 % Sonstige Nutzung.9
Versiegelt, versiegelter, München. Die VdS Schadenverhütung GmbH hat im Auftrag des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) den Versiegelungsgrad der 50 größten deutschen Kommunen untersucht. München führt: Nach den Zahlen des VdS sind 46,6 Prozent des gesamten Stadtgebietes bebaut, zubetoniert oder asphaltiert. Der GDV hat die Untersuchung in Auftrag gegeben, weil der Versiegelungsgrad bei extremen Niederschlägen eine Rolle spielt: Die Kanalnetze sind nicht dafür ausgelegt und können auch nicht gut dafür ertüchtigt werden. Dann kommt es zu Überflutungen und Rückstauungen. Die VdS hat acht Nutzungsarten unterschieden: städtische Bebauung, Verkehrsflächen, Baustellen, dazu Wald-, Grün- und Wasserflächen, Auen und Ackerflächen. München hat trotz des Englischen Gartens auch mit 36 Prozent den höchsten Anteil an städtischer Bebauung.10
Die Karte zur Versiegelung Münchens: https://www.gdv.de/resource/blob/36270/f099b2eb61ec9887000bb998b7618d81/stadtkarte-muenchen-data.pdf111213
Und das wird weitergehen: Bis 2030 sollen noch über 2000 Hektar bisheriger landwirtschaftlicher Grund oder Grünflächen überbaut werden.
Flächenverbrauch und Versiegelung. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat auf die Folgen der ungezügelten Versiegelung für Landschaften in Deutschland hingewiesen. Die Anzahl von unzerschnittenen Naturräumen hat drastisch abgenommen: Von 690 „Lebensraumtypen“ sind etwa zwei Drittel gefährdet oder stehen vor der Vernichtung. Ursachen der Zerschneidungseffekte sind u. a. die Zersiedlung und damit einhergehend ein höheres Verkehrsaufkommen. Gefördert wird diese verhängnisvolle Entwicklung durch Raumplanung, staatliche Subventionen und das Steuersystem, höhere Flächenansprüche.14
Aktuell werden laut BMU täglich rund 52 Hektar in Deutschland als Siedlungs- und Verkehrsflächen neu ausgewiesen. Dieser immense Flächenverbrauch ist oft auch synonym mit Versiegelung (Wohn- und Gewerbebauten, Straßenbau und Verkehrsinfrastruktur, Freizeit- und Sportanlagen etc.). Offizielles Ziel der Bundesregierung ist die Reduktion des Flächenverbrauchs auf unter 30 Hektar bis zum Jahr 2030. Im Klimaschutzplan vom November 2016 soll im Jahr 2050 ein Flächenverbrauchsziel von „Netto-Null“ angestrebt werden. Der Flächenverbrauch müsste dafür drastisch reduziert und bestehende Siedlungs- und Verkehrsfläche besser ausgenutzt werden. Kommunen sollten ihre Außenbereiche schonen und ihre Innenentwicklung besser nutzen, z. B. bei Brachflächen, Baulücken, Leerständen von Gebäuden.15
Versiegelung in München steigt stark. Das Referat für Klima- und Umweltschutz gab 2021 den Versiegelungsgrad in München mit 44 Prozent an. Allein die Verkehrsflächen nahmen zwischen 1994 und 2015 um 20 Prozent zu (717 Hektar). In den großen Münchner Neubausiedlungen sieht es dramatisch aus: In Freiham stieg die Versiegelung in diesem Zeitraum von zehn auf 25 Prozent, in der Messestadt Riem liegt der Versiegelungsgrad bei 47 Prozent. Auch die Münchner Gartenstädte werden mit dem Verkauf der alten Villen immer weiter versiegelt. Klimaschutzreferentin Christine Kugler rief die Stadtpolitik auf, die Stadt mehr zu begrünen und Straßen und Gebäude zurückzubauen.16
Das Planungsreferat plant aber noch die weitere Überbauung und Versiegelung von 2000 Hektar des 31.000 Hektar großen Stadtgebiets: durch die SEM Nordost, die SEM Nord, den Eggarten, etc. Die Klimakatastrophe wird weiter befeuert.
Verstädterung und Versiegelung. Eine Studie der Universität Würzburg stellte als eine Hauptursache für das Insektensterben neben der Landwirtschaft die zunehmende Verstädterung und damit die Versiegelung der Böden fest.17 Helfen könnten mehr Grünflächen in den Städten.18
Wie oben geschrieben: In München erfolgt ein gnadenloser Kampf um die Bebauung der letzten Grünflächen und landwirtschaftlich genutzter Flächen.
Noch mehr Hitze in der Stadt. Die Klimakatastrophe wird sich vor allem in der Stadt auswirken. Forscher der Columbia University haben die Daten von 13.000 Städten analysiert. Die Belastung der Stadtbewohner durch Hitze hat sich hier seit den 1980er Jahren verdreifacht. Die Gründe sind der erhöhte globale Zuzug in Städte, der Wärmeinseleffekt, das Fehlen kühlender Vegetation, der hohe Grad der Versiegelung.1920
Versiegelung Bayern. 2018 wurden in Bayern täglich zehn Hektar Landschaft in Siedlungsfläche, Gewebe- und Industriegebiete und Verkehrswege umgewandelt. 2019 waren es 10,8, 2020 dann schon 11,6. CSU und Freie Wähler hatten beim Regierungsantritt als Ziel fünf Hektar angegeben. Die Grünen kritisierten ein Versagen der Staatsregierung beim Erhalt der Kulturlandschaft. Der Bund Naturschutz nannte dies eine „Bankrotterklärung der Staatsregierung“.21
Die grüne Landtagsfraktion nahm den nächsten Anlauf. Fraktionschef Ludwig Hartmann will seit Längerem den Flächenfraß auf fünf Hektar begrenzen. Deshalb sollen Orte im Inneren dichter bebaut werden, um nicht ständig neue Baugebiete an den Rändern auszuweisen. Kerstin Schreyer (CSU) ist in Bayern die Staatsministerin für Wohnen, Bau und Verkehr und propagiert laut Hartmann immer noch das undifferenzierte Ziel „Bauen, Bauen, Bauen“.22
Versiegelung in Bayern steigt wieder. 2018 planten Parteien und Initiativen im Vorfeld der Landtagswahl ein Volksbegehren zum Flächenverbrauch, das vom bayerischen Verfassungsgerichtshof abgelehnt wurde. Seitdem stieg der Flächenverbrauch pro Hektar in Bayern von 10,0 Hektar täglich im Jahr 2018 auf 11,6 Hektar täglich im Jahr 2020. Prof. Manfred Miosga von der Uni Bayreuth zufolge hat die Staatsregierung in Bayern die Landesplanung dereguliert und liberalisiert. Die Kommunen bekamen gleichzeitig mehr Aufgaben und wurden auf Sparkurs gesetzt. Damit verschärfte sich der ruinöse Wettbewerb um Arbeitsplätze, Einwohner und Steuern. So hat eine BI in der fränkischen Gemeinde Stadelhofen die Ansiedlung eines Logistikzentrums von Lidl auf einem Acker verhindert (Nein zum Flächenfraß“). Nun soll es zehn Kilometer entfernt in der Nachbargemeinde Hollfeld gebaut werden.23
Kampf um die Deutungshoheit (1). Der Versiegelungsgrad wurde bislang über die Einwohnerdichte ermittelt: dem Verhältnis der Einwohnerzahl und der Größe des Stadtgebiets. In München leben auf 31.100 Hektar derzeit 1,56 Millionen Einwohner. In Hamburg leben auf 75.5230 Hektar 1,84 Millionen Einwohner. Das Referat für Stadtplanung und Bauordnung verweist auf andere Messmethoden. So rechnet der Planungsverband Äußerer Wirtschaftsraum mit knapp 14.480 Hektar Versiegelung: Pro Einwohner wären dies 98 qm. Im Vergleich zu anderen Städten steht München bei dieser Methode besser da, ungeachtet der Tatsache, dass etwa die Hälfte des Stadtgebiets versiegelt ist. Stadtrat Hans Hammer (CSU, Hammer AG) stellte dazu fest, dass von deutschen Großstädten nur Berlin besser dastünde mit 95 qm Versiegelung und folgerte daraus: „Die dauernde Kritik an der gewaltigen Versiegelung und zu hohen Dichte ist schlicht falsch.“24
Kampf um die Deutungshoheit (2). Stadtbaurätin Elisabeth Merk antwortete am 26.4.2022 auf den Antrag von Hammer vom 17.11.2021. Diverse Informationen zur Versiegelungsproblematik Münchens lägen vor. – Am 9.2.2022 wurde im Ausschuss für Stadtplanung und Bauordnung ein Siedlungs- und Verkehrsflächenanteil von 74,8 Prozent festgestellt. – Am 21.9.2021 ergab die Fortschreibung der Münchner Versiegelungskartierung einen Gesamtversiegelungsgrad von 44 Prozent. – Der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. hatte einen Vergleich des Versiegelungsgrades der 50 größten Städte Deutschlands erstellen lassen (siehe oben und hier). Danach liegt München beim Versiegelungsanteil an der Gesamtfläche mit 46,6 Prozent vor Nürnberg (40,4), Berlin (39,0), Frankfurt (36,9) und Hamburg (36,2). München liegt bei der versiegelten Fläche pro Einwohner mit 98 qm hinter Berlin (95 qm) und Frankfurt (122 qm). München hat bezogen auf die Gemeindefläche mit 4700 Bewohnern den höchsten Anteil (Berlin 4100, Frankfurt 3000). Merk kommt zum Schluss dass München „einen moderaten Versiegelungsgrad“ aufweist, der im nationalen Vergleich „eher gering“ ist. Der Mehrwert einer aufwändigen gesonderten Erhebung über Dichte und Versiegelung im Stadtgebiet von München ist „zum jetzigen Zeitpunkt nicht erkennbar“.25
Kampf um die Deutungshoheit (3). Der „Faktenfuchs“ des Bayerischen Rundfunks hat sich die obige Frage vorgenommen. Das Problem der Versiegelung ist laut dem Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) so gravierend, weil dort kein Regenwasser mehr aufgenommen oder gespeichert werden kann. Damit steigt bei Starkregenfällen das Überschwemmungsrisiko. Im Sommer erhitzen sich versiegelte Flächen entsprechend stärker auf. Lebensräume für Flora und Fauna gehen verloren. Versiegelter Boden lässt sich kaum renaturieren.
Den Antrag von CSU-Stadtrat Hans Hammer (Hammer AG) und den Fraktionen von CSU und FW im Münchner Stadtrat, die versiegelte Fläche pro Einwohner zu berechnen anstatt im Verhältnis zum Stadtgebiet, stimmte das Referat für Stadtplanung und Baurecht umgehend zu.
Laut UBA gibt es keine detaillierte Erfassung der Bodenversiegelung in Deutschland. Das Münchner Referat für Klima- und Umweltschutz (RKU) untersucht alle vier Jahre den Versiegelungsgrad anhand von Luftaufnahmen. Laut RKU kann der Pro-Kopf-Indikator das Bild der Versiegelung verzerren: Denn bei ausschließlicher Betrachtung des Pro-Kopf-Indikators würde bei konstanter Versiegelung, aber steigender Bevölkerungszahl die Versiegelungsrate sogar abnehmen. Laut RKU-Sprecherin Gesine Beste hat München außer dem Englischen Garten keine ausgedehnten Grünflächen. Der Flächenschutz sei dringlich. Das RKU plädiert für einen Versiegelungsanteil im Verhältnis zur Gesamtfläche und gegen den Pro-Kopf-Vergleich. Im Gegensatz hierzu schrieb das Planungsreferat der Faktenfuchs-Redaktion, das Maß der versiegelten Fläche pro Einwohner sei „deutlich aussagekräftiger“. Dagegen wenden sich Fachstellen und Experten gegen den Pro-Kopf-Indikator: Er „führe zu falschen Schlussfolgerungen, vor allem, wenn es um die Entwicklung der Versiegelung geht“.26
Bürgerbegehren „Grünflächen erhalten – München mit Bedacht gestalten“. Aus dem Flyer: „München ist eine der am meisten versiegelten Städte in Deutschland … Dabei hat München nicht einmal einen Grünanlagen- und Grünflächenanteil von 15 Prozent … Dennoch werden diese Grünflächen sukzessive nachverdichtet bzw. versiegelt!“
Versiegeln und Entsiegeln. Im Stadtrat wurden im „Klimapaket“ 2021 eine halbe Milliarde Euro für die Entsiegelung von Flächen, Dachbegrünungen und neue Parks bereitgestellt. Gleichzeitig plant die Stadt die Überbauung riesiger landwirtschaftlicher Flächen bei der SEM Nordost (600 ha) und der SEM Nord (900 ha) – plus Eggarten (21 ha) plus Freiham etc. etc..27
Ist es so schwer zu verstehen, dass die Umwandlung von bisherigen landwirtschaftlichen Betrieben und Gartenbaubetrieben in Wohnbebauung und damit die weitgehende Versiegelung verheerend für die klimatische Entwicklung der Stadt ist?!
CIPRA-Aktion gegen Versiegelung. Die Alpenschutzkommission CIPRA hat mit der PM Bodenversiegelung verschärft Hitzeproblem (9.8.2022) auf die zunehmende Versiegelung in den Alpenländern hingewiesen: „Heiß, heißer, Mitteleuropa: Europa erlebt eine Hitzewelle nach der anderen, der Alpenraum ist davon ebenso betroffen. Besonders Städte und Ballungsräume, die als ‚Hitzeinseln‘ bezeichnet werden, sind betroffen. Wo Glas- sowie Metalloberflächen die Wärme lange speichern und Beton oder Asphalt den Boden versiegeln, verdunstet durch fehlende Vegetation weniger kühlendes Wasser. Versiegelter oder durch Erosion und Schadstoffbelastung geschädigter Boden kann seine Funktionen nur eingeschränkt oder gar nicht erfüllen: Wasser versickert nicht mehr, der Boden bindet kein CO2 aus der Atmosphäre, immer weniger Nahrungsmittel können produziert werden. Die Folgen: Wärmere Luft, Hochwasser, Überschwemmungen und immer mehr Aufwand für trinkbares Wasser. Oftmals sind die Schäden irreversibel. Dennoch versiegeln die Alpenländer täglich Flächen, vor allem in stadtnahen Gebieten. Zusätzlich nehmen vermehrt Wind-, Wasserkraft-, Biomasse- und Solar-Anlagen Flächen in Anspruch – Nutzungskonflikte sind vorprogrammiert. Der sparsame Umgang mit Grund und Boden ist daher wichtiger denn je. Mit dem Projekt ‚Flächen:sparen – für eine Trendwende im Umgang mit Grund und Boden in peri-urbanen Gebieten‘ zeigt die CIPRA auf, welche strategischen Ansätze auf regionaler, nationaler und transnationaler Ebene existieren und wie sie lokal umgesetzt werden.“
Oktober 2022: Schwalben-Drama. Der LBV berichtete in seinem Ornithologischer Wochenrückblick (12.09. bis 18.09.2022): „Eine am 17.09. eingetroffene Kaltfront hat zu starkem Zugstau und erheblichen Nahrungsproblemen bei Schwalben geführt. Insbesondere die Mehlschwalbe scheint es dabei schwer erwischt zu haben. So suchten alleine auf der Achdorfer Eisenbahnbrücke Hunderte durchnässte Tiere eng aneinandergedrängt nach Schutz vor der Witterung. Das sieht nicht gut aus für die nächsten Tage.“28
Nach meiner Rücksprache mit Experten hatten die Schwalben in Bayern durch den heißen Sommer Schwierigkeiten, ausreichend Nahrung respektive Insekten für den weiten Flug in den Süden zu finden: Der findet üblicherweise von Ende August bis Mitte September statt. Das Schwalben-Drama ist längst im Gang: Wir haben in Niederbayern noch am 1.10.2022 Schwärme von Schwalben gesehen, die über einem abgeernteten Maisfeld auf Nahrungssuche waren. In einer Stadt wie München wird die Situation für die Vögel durch die zunehmende Versiegelung, den Abriss der alten Gärten und deren dichter Überbauung und der Umwandlung von Grünflächen und landwirtschaftlichem Grund noch verschärft.
Eine Email aus Hadern zum Thema Versiegelung: „Ich stelle seit Jahren mit wachsender Verärgerung fest, dass mit jeder neuen Baumaßnahme in Hadern systematisch Grünflächen vernichtet werden. Mittlerweile scheinen alle Dämme gebrochen. Vorgärten werden abgeschafft und der Hauseingang direkt an den Gehweg verlegt. Wo früher ein Ehepaar mit Kindern in einem Haus mit Garten lebte, stehen heute drei ‚Stadtvillen‘ und eine ‚Architektenvilla‘. Die verbliebene Grünfläche lässt keine Baumpflanzung mehr zu.
Jetzt aber wird noch eine Schippe draufgelegt: An der Ecke Silberblattstrasse / Aurikelstrasse wurde das gesamte Grundstück mittels Spundwänden mehr als 3 Meter tief ausgegraben. Gerüchteweise wird dort der Bau der Tiefgarage für ein Sechsparteienhaus und zwei Doppelhaushälften vorbereitet. Das ist eine Versiegelung von 100 %, selbst wenn das Dach der Tiefgarage „begrünt“ wird und als Abstellfläche für den Gasgrill dient. Gibt es denn keine verbindlichen Pflanzungen mehr?“ D.S. (Email vom 20.10.2022)
Münchner Stadtklima bedroht. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) hat in München 2020 eine stadtklimatische Untersuchung veröffentlicht, in der seit 1955 eine mittlere Temperaturerhöhung von über zwei Grad Celsius festgestellt wurde. Der GdV stellte 2018 eine Versiegelungsrate für München von fast 44 Prozent fest: Von 31.071 Hektar Stadtgebiet waren über 13.600 Hektar bebaut, davon 4350 Hektar mit Straßen, Wegen, Plätzen. Hinzu kommt die vom Bund Naturschutz festgestellte Fällung von jährlich 2000 alten Bäumen. (Vgl.: Bäume in der Stadt) In der Baumstatistik des Planungsreferats wurden im Jahr 2021 8587 Baumfällungen genehmigt und 7144 Ersatzpflanzungen angeordnet. Das ergibt rein rechnerisch ein Defizit von 1440 Bäumen. In der Praxis bedeutet dies jedoch, dass alte, große Bäume gefällt und kleine Bäumchen nachgepflanzt werden. Die Initiatoren des Bürgerbegehrens „Grünflächen erhalten“ fordern deshalb in ihrem Bürgerentscheid, dass die rund 1200 Grünanlagen der Stadt nicht mehr bebaut werden dürfen. SZ-Autorin Ulrike Steinbacher fordert in ihrem Artikel die Erkenntnis, „dass Grün in der Stadt kein nettes Extra ist, sondern das wichtigste Instrument im Umgang mit Wetterextremen“.29
Versiegelung gegen Gartenstadt. Am 15.3.2023 fand in Pasing eine Bürgerversammlung statt, bei der ein gewichtiger Schwerpunkt die bedrohte Begrünung war. Durch neue überdimensionierte Bauprojekte mit dadurch bedingten großen Tiefgaragen werrden immer weitere Flächen versiegelt. Eine Forderung war, das Prinzip „Baurecht bricht Baumrecht“ umgekehrt zu gewichten. Kommerzielle Nachverdichtungsprojekte der Investoren bedrohen in Pasing den Gartenstadt-Charakter. So sollen zwölf alte Bäume an der Lichtinger Straße gefällt werden. Ein Antrag, hundertjährige Bäume vor der Fällung zu retten, wurde angenommen.30
Beton statt Grünfläche. Rekordhalter bei der Versiegelung ist nach Angaben des GDV die Stadt Ludwigshafen mit 67 Prozent. Von den 134 größten deutschen Städten sind bei 76 Prozent über die Hälfte der Fläche versiegelt. Dieser Trend wird sich noch durch den Druck durch Nachverdichtung, Wohnungsbau, Platzbedarf für Industrie und Gewerbe und Logistikflächen noch verstärken. Harald Ginzky vom UBA folgert: „Der Druck auf die Fläche steigt.“ GDV-Geschäftsführer Jörg Asmussen fordert: „Die Entsiegelung muss auf die Tagesordnung.“ Frankfurt am Main hat inzwischen ein Regelwerk für Gebäudebepflanzung und Grünanlagen erlassen. Die EU hat 2022 eine Verordnung zur „Wiederherstellung der Natur“ beschlossen. Hier steht z. B. im Artikel 6, dass die „nationale Gesamtfläche städtischer Grünflächen in Städten sowie kleineren Städten und Vororten bis 2040 um mindestens 3 % und bis 2050 um mindestens 5 % gegenüber 2021 vergrößert wird“. Dazu müssen bis 2050 mindestens zehn Prozent der Stadtfläche mit Bäumen überschirmt sein.31
Sofern bis dann in den Städten noch Bäume wachsen …
Städtebau plant Klimakatastrophe. Spiegel-Autor Markus Feldenkirchen schrieb am 15.7.2023 zu „Deutschland, ein Betonparadies“: „Heute werden in großen Teilen Deutschlands wieder immens hohe Temperaturen erwartet. 35 Grad in Berlin, 37 in Dresden. (…) Zusätzlich ärgerlich ist es da, dass insbesondere deutsche Großstädte für Hitze grottenschlecht geplant und gebaut sind. Die hemmungslose Versiegelung, die teils manische Zubetonierung von riesigen Flächen, ist nicht nur ästhetisch ein Verbrechen, sondern das Ergebnis einer menschenfeindlichen Architektur und Städteplanung, besonders in Zeiten des Klimawandels. (…) Städte benötigen weniger Beton, dafür mehr Bäume und Pflanzen, die Schatten spenden. Die Versiegelung des Bodens muss nicht nur gestoppt, sie sollte an vielen Orten auch rückgängig gemacht werden.“32
In München sollen in den nächsten Jahrzehnten noch an die 2000 Hektar (20 Millionen Quadratmeter) zugebaut und versiegelt werden: SEM Nordost 600 ha, SEM Nord 900 ha, Eggarten 21 ha, Freiham, Lerchenau, Riem usw. usw.
Vgl.: Bäume in der Stadt; Grünflächen erhalten; Stadtgrün
- Roll, Evelyn, Beim Zubetonieren ist München wirklich bodenlos, in SZ 8.9.1988 [↩]
- Fischer, Otto, München – Betonmeer und Asphaltdschungel, in SZ 7.6.1989 [↩]
- Thurau, Martin, Aus der Betonwüste soll eine Oase werden in SZ 19.11.1994 [↩]
- Steer, Martina, 290 Biotope sind gefährdet, in SZ 24.8.1995 [↩]
- Leuthner, Alexandra, Bund Naturschutz und Forstamt gegen Abholzung von Bannwald, in SZ 16.12.2000 [↩]
- Leuthner, Alexandra, Kampagne gegen die Bodenversiegelung, in SZ 23.1.2002 [↩]
- Friedrich, Dorothea, Bause warnt vor riesigem Flächenverbrauch, in SZ 28.8.2003 [↩]
- Münchner Statistik, 4. Quartalsheft, Jahrgang 2017, S. 18; https://stadt.muenchen.de/dam/jcr:93314652-5c20-4bea-b303-f2eb3160526a/MueSta_4_17_Grau,Gruen%2520und%2520Blau_die%2520Bodennutzung%2520in%2520Muenchen.pdf [↩]
- Münchner Statistik, 4. Quartalsheft, Jahrgang 2017, S. 15; https://stadt.muenchen.de/dam/jcr:93314652-5c20-4bea-b303-f2eb3160526a/MueSta_4_17_Grau,Gruen%2520und%2520Blau_die%2520Bodennutzung%2520in%2520Muenchen.pdf [↩]
- https://www.gdv.de/de/medien/aktuell/muenchen-ist-die-am-staerksten-versiegelte-grossstadt-36418 [↩]
- München ist die am stärksten versiegelte Großstadt, in gdv.de 24.10.2018 [↩]
- Versiegelung in München: Keine deutsche Großstadt ist stärker zugebaut, in abendzeitung-muenchen.de 25.10.2018 [↩]
- In diesen Städten ist Starkregen besonders gefährlich, in spiegel.de 24.10.2018 [↩]
- BUND, Flächenverbrauch bekämpfen: Keine neuen Versiegelungen zulassen, in www.bund.net, ojg., ab 2020 [↩]
- BMU, Flächenverbrauch – Worum geht es?, in bmu.de 27.5.2020 [↩]
- Anlauf, Thomas, München ist die am stärksten versiegelte Stadt Deutschlands, in SZ 22.9.2021 [↩]
- https://www.nature.com/articles/s41467-021-26181-3 [↩]
- Landwirtschaft und Verstädterung treiben das Insektensterben voran, in spiegel.de 12.10.2021 [↩]
- https://www.pnas.org/content/118/41/e2024792118 [↩]
- Vieweg, Martin, Stadt-Hitze: Enormer Belastungstrend, in wissenschaft.de 4.10.2021 [↩]
- Flächenverbrauch steigt deutlich an, in SZ 14.10.2021 [↩]
- Sebald, Christian, Mehr Wohnraum, weniger Fläche, in SZ 13.11.2021 [↩]
- Frehler, Tim, Bammert, Lena, Riemann, Jasper, Bayern baut sich zu, in SZ 19.3.2022 [↩]
- Karowski, Sascha, Versiegelung in München: Nur 98 Quadratmeter pro Kopf zugebaut – Laut CSU ist daher „dauernde Kritik falsch“, in merkur.de 2.5.2022 [↩]
- https://www.muenchen-transparent.de/dokumente/7145238/datei [↩]
- Kohler, Claudia, Ley, Julia, Faktenfuchs: Wie stark versiegelt ist München wirklich?, in br.de 15.5.2022 [↩]
- Anlauf Thomas, Der Traum von der grünen Stadt, in SZ 13.6.2022 [↩]
- https://landshut.lbv.de/ [↩]
- Steinbacher, Ulrike, Düstere Aussichten, in SZ 24.1.2023 [↩]
- Draxel, Ellen, Pasinger sorgen sich um den Naturschutz, in SZ 17.3.2023 [↩]
- Pezzei, Kristina, Grün gegen grau, in IZ 22/1.6.2023 [↩]
- Feldkirchen, Markus, Deutschland, ein Betonparadies, in spiegel.de 15.7.2023 [↩]