Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Mai 2020

M
Titelbild: © Oswald Baumeister / Gesellschaft für ökologische Forschung e.V. []

Mai 2020: Büschl-Hochhäuser höchstens halb so hoch. Anfang Mai meldete sich der Präsident der Bayerischen Schlösser- und Seenverwaltung, Bernd Schreiber, und wies darauf hin, dass die beiden Hochhäuser die Blickachse von Schloss und Park Nymphenburg stören; die Hochhäuser dürften allenfalls 60 Meter hoch werden. Er bedauerte, dass die von der Stadt avisierte Hochhausstudie noch immer nicht vorliegt. Stadtbaurätin Elisabeth Merk verwies auf Diskussionen mit der Bürgerschaft und Fachleuten. Ein Ratsbegehren sei derzeit nicht vorgesehen. Für einen neuen Bürgerentscheid müssten drei Prozent der Münchner unterschreiben, das wären derzeit etwa 27.000.1 In diesem Zusammenhang auch interessant: Der BA Neuhausen war zunächst pro Büschl-Pläne, dann meldeten sich kritische Stimmen. „Der scheidende BA hat in seiner letzten Sitzung am Mittwoch einstimmig einen ÖDP-Antrag auf einen höheren Anteil von Wohnungen dort verabschiedet.“1
Anscheinend gibt es ein Allheilmittel, Genehmigungen und Zustimmungen selbst in krassen Fällen bekommen: man braucht nur ein paar mehr Wohnungen zu bauen. Schon sind Kritiker mundtot gemacht. Das Totschlagargument Wohnungsbau erlaubt dann jeden noch so ausufernden Bauplan: siehe die unsägliche Bebauung des ehemaligen Großmarkthallen-Areals.

Mai 2020: Makler und Corona-Pandemie (1). Thomas Aigner hat ein Immobilienbüro mit sechs Standorten in München. Er beurteilte Anfang Mai das Geschäft als „deutlich ruhiger“. Die Interaktion Käufer-Verkäufer sei schwieriger geworden, Mieter wollten keine Besichtigungen. Der Immobilienmarkt sei die letzten Wochen „regelrecht niedergeschrieben“ worden. Niemand wisse, wie es weitergeht. „Natürlich wird es wahrscheinlich Notverkäufe geben … Die Preise in Städten wie München werden wahrscheinlich erst einmal stagnieren.“2

Mai 2020: Makler und Corona-Pandemie (2). Der IVD registrierte eine etwas reduzierte Nachfrage in den letzten Wochen, ohne dass die Preise reagiert hätten. Makler Christoph Müller-Brandt auf der Pressekonferenz am 12.5.2020: „Wenn es für ein gutes Grundstück vor Corona vielleicht 50 Kaufinteressenten gab, sind es jetzt immer noch 20 … Die Nachfrage ist weiter groß genug, um den Bestand abzuverkaufen.“3 Die Quadratmeter-Preise für Neubauwohnungen mit gutem Wohnwert stiegen von 3900 Euro im Jahr 2010 auf 9350 Euro Anfang 2020; bei einer Wohnung mit sehr gutem Wohnwert z. B. in den Stadtteilen Altschwabing, Altstadt-Lehel, Maxvorstadt bis zu 14.000 Euro. Stephan Kippes, der Leiter des IVD-Marktforschungsinstituts, wies auf zwei gegenläufige Entwicklungen hin: zum einen eine eventuell sinkende Nachfrage wegen drohender Kurzarbeit und steigender Arbeitslosigkeit, zum anderen das Bedürfnis von Investoren, ihr Geld sicher anzulegen.3
Dazu kommen niedrige Zinsen bei den Banken, bzw. sogar Strafzinsen.

Mai 2020: Paulaner-Gelände: noch dichtere Bebauung. Die Nicolaidis-Young-Wings-Stiftung mit FC Bayern-Star Thomas Müller als Botschafter will in der Regerstraße ein Haus für trauernde Kinder und Jugendliche bauen lassen: Dort waren bisher Wohnungen vorgesehen. Das erfuhr der BA Au/Haidhausen im Jahr 2018. Die Befürchtung: Das ehemalige Paulaner-Gelände könnte noch dichter bebaut werden. Und tatsächlich teilte das Planungsreferat dem BA mit, dass an der Regerstraße „zusätzliche Geschosse auf zwei Häusern“ genehmigt werden. Die zusätzlichen 650 qm Wohnraum würden den Wegfall des Wohnhauses wegen des Gebäudes der Stiftung kompensieren. Insgesamt ergäbe dies einen Verlust von rund 800 qm Wohnfläche. Der Gestaltungsbeirat der Stadt hat dies bereits genehmigt; laut Planungsreferat trage eine „soziale Einrichtung zur Vielfalt im neuen Quartier“ bei. Der BA zog daraus den Schluss, dass Bebauungspläne im Nachhinein geändert werden können. Auf dem Paulaner-Gelände wird dichter gebaut, aber mit weniger Wohnungen. Und die genehmigten oberen Etagen können zudem noch teurer vermietet werden. BA-Mitglied Martin Wiesbeck (Grüne): Da haben sie uns geblitzt.“4

Mai 2020: Vorkaufsrecht weniger genutzt. Der Münchner Kämmerer Christoph Frey (SPD) wies darauf hin, dass sich durch die Corona-Pandemie die Stadtkasse leert. Als Folge davon „muss sich die Stadt aus finanziellen Gründen davon verabschieden, in großem Stil Mietshäuser in Erhaltungsgebieten aufzukaufen.“5 Seit Sommer 2018 hat die Stadt 312 Millionen Euro für Hauskäufe eingesetzt, 207 weitere Millionen Euro sind beschlossen. OB Dieter Reiter: „Wir werden das nicht länger durchhalten können.“5

Mai 2020: Grün-roter Koalitionsvertrag. Zwischenstand: Die SEM im Münchner Norden soll reaktiviert werden. Die SEM im Münchner Nordosten wird mit dem Maximum von 30.000 Bewohnern geplant. Das Kooperative Stadtmodell (Kosmo) mit weniger Eingriffsmöglichkeiten für die Stadt wird nicht weitentwickelt. Beim Modell der sozialgerechten Bodennutzung (SoBoN) beteiligen sich die Investoren am Ausbau der Infrastrukturen. Künftig will die Stadt 50 Prozent des Grundes zum Preis vor der Ausweisung von Baurecht anbieten: Hier können dann städtische Wohnungsbaugesellschaften oder Wohngenossenschaften selbst bauen.6

Mai 2020: Weniger Baugemeinschaftsbau. Die „Baugemeinschaft Kreativquartier“ wird von 20 Parteien gebildet, die dort ein Baufeld möchten. Auf dem Kreativquartier sollen 370 Wohnungen entstehen, wovon die Hälfte die Gewofag bauen wird. 26 Prozent waren für Genossenschaften reserviert, 16 Prozent sollten an private Bauträger für den Bau preiswerter Mietwohnungen und 10 Prozent für ein Baufeld mit geplanten 25 Wohnungen für Baugemeinschaften gehen. Aber die grün-rote Koalition plus Volt hat inzwischen andere Pläne. Das Baufeld und zwei Nachbargrundstücke sollen für Genossenschaften oder Mietshäuser-Syndikate ausgeschrieben werden – im Erbbaurecht auf 80 Jahre. Das bedeutet das Ende der Förderung „München Modell Eigentum“. Aufgrund der hohen Bodenpreise hat die LH München bisher Grundstückskäufe gefördert, da sie zum Verkehrswert verkaufen muss. Deshalb haben schon Baugenossenschaften in Freiham im ersten Durchgang den Zugriff verweigert: zu teuer. Auch auf dem Areal der Bayernkaserne werden Baugenossenschaften nicht in Betracht gezogen, und der private Immobilienmarkt ist für sie viel zu teuer.7.

Mai 2020: Knappe Sozialwohnungen. Das Wohnungsamt im Münchner Sozialreferat vermittelte 2019 4000 Wohnungen. Derzeit haben rund 13.000 Haushalte einen Anspruch auf geförderten Wohnraum, auf den sie zwei bis drei Jahre warten müssen: 11.000 von ihnen sind in der höchsten Dringlichkeit. Durch die Corona-Pandemie und die darauf folgende Kurzarbeit, Entlassungen, Einstellungsstopps wird sich diese Zahl weiter erhöhen. Die Mitarbeiter müssen derzeit jährlich 25.000 Anträge bearbeiten. Das Vergabesystem soll nun von 140 auf 54 Kriterien reduziert werden.8
Nachtrag: Die Änderung muss aufgrund der Rechtsprechung des EuGH erfolgen: Schon länger in München Lebende dürfen nicht grundsätzlich gegenüber Neuzugezogenen bevorzugt werden. Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof befindet es für unzulässig, „dass Wohnungssuchende mit einer geringen sozialen Dringlichkeit gegenüber denjenigen bevorzugt werden, die zwar eine sozial geförderte Wohnung nötig hätten, aber noch nicht so lange in München leben.“9

Mai 2020: Wohnheim muss schließen. Ein Wohnheim für psychisch Kranke in der Arcisstraße 63 stand zum Verkauf. Die LH München hätte über die Erhaltungssatzung in der Maxvorstadt das Vorkaufsrecht gehabt und hat es wegen des sehr hohen Kaufpreises nicht ausgeübt. Es wurden 24 Mill. Euro gefordert, 25 Prozent über dem Verkehrswert. Die Miete liegt bei 20 Euro pro Quadratmeter: Das kann die Stadt nicht mehr akzeptieren. Darum endet die Anmietung zum 31.3.2021. Die psychisch Kranken sollen nun in einem neuen Gebäude der Gewofag im Kreativquartier untergebracht werden. Der Geschäftsführer der Eigentümerfirma wollte sich nicht dazu äußern.10

Mai 2020: Spekulationsobjekt Grundstück? Brigitte Wolf, Stadträtin Die Linke, warf die Frage bei einer Sitzung des Planungsausschusses auf: „Horten Investoren Baurecht, um das Grundstück später teuer weiter zu verkaufen?“11
Der Leiter der LBK, Cornelius Mager, bestätigte, dass es Bauherren gibt, die Baugenehmigungen erhalten und dann alles aus Spekulationsgründen liegen lassen. Ende 2019 gab es Baugenehmigungen für 15.000 Wohneinheiten – ohne Baubeginn. Mager nannte das Beispiel Türkenstraße 52: „Da gab es Baugenehmigungen im Jahr 2007, in Jahr 2012 und 2016. Aber es will einfach nicht gebaut werden.“11
Auch interessant: Auf der Insel Sylt haben sogar Makler einige Villenobjekte selbst gekauft, um an der Spekulation teilzuhaben.

Mai 2020: Gutachterausschuss: Umsätze plus 33 Prozent. 2019 wurden laut Bericht des Gutachterausschusses der LH München auf dem Immobilienmarkt 16,9 Mrd. Euro umgesetzt, etwa ein Drittel mehr als 2018. Die Zahl der Kaufverträge ist 2019 um sieben Prozent gestiegen. Der Bericht verzeichnet immer mehr Verkäufe für immer noch mehr Geld.12

Mai 2020: BA Berg am Laim lehnt Neubaugebiet ab. Für das geplante Neubaugebiet auf dem Acker an der Truderingerstraße/Roßsteinstraße mit mehr als 800 Wohnungen wird die Bebauung vom BA abgelehnt. Nun hat auch der Planungsausschuss den eigentlich für März 2020 geplanten Billigungsbeschluss erneut verschoben auf 1.7.2020. Befürchtet werden Verschattungen, eine Störung der Frischluftzufuhr und Verkehrsprobleme.13 – Am 1.7.2020 stimmt der Stadtrat gegen massive Einwände der Bebauung zu.14

Mai 2020: „Wohnen für alle“-Projekt der Gewofag genehmigt. Die Gewofag will die Grünanlage an der Erwin-Schleich-Straße zwischen Naßlstraße und Franz-Albert-Straße mit 52 Wohnungen überbauen. Nachbarn hatten seit drei Jahren dagegen bis zum Bayerischen Verwaltungsgerichtshof geklagt, weil sie die Grünanlage erhalten wollten und zu große Abweichungen vom Bebauungsplan vorlägen. Der VGH hat nun die Klage abgewiesen.15

  1. Niesmann, Sonja, Höchstens halb so hoch, in SZ 2.5.2020 [] []
  2. Interview: Remien, Andreas, „Niemand weiß, wie es weitergeht“, in SZ 2.5.2020 []
  3. Krass, Sebastian, Immobilienpreise auf Rekordniveau, in SZ 13.5.2020 [] []
  4. Durch die Hintertür, in SZ 7.5.2020 []
  5. Hutter, Dominik, Schmerzhaft wird es später, in SZ 12.5.2020 [] []
  6. Hutter, Dominik, Ambitioniert und ambivalent, in SZ 15.5.2020 []
  7. Krass, Sebastian, Mieten statt kaufen, in SZ 18.5.2020 []
  8. Effern, Heiner, „Einfacher und schneller“, in SZ 20.5.2020 []
  9. Anlauf, Thomas, Unzulässiger Bonus, in SZ 29.5.2020 []
  10. Krass, Sebastian, Erste Sparmaßnahmen treffen sozialen Träger, in SZ 22.5.2020 []
  11. Krass, Sebastian, Gedrehte Grundstücke, in SZ 28.5.2020 [] []
  12. Hoben, Anna, Es wird immer mehr verkauft, für immer noch mehr Geld, in SZ 29.5.2020 []
  13. Neubaugebiet muss auf den Prüfstand, in SZ 29.5.2020 []
  14. Raff, Julian, Krass, Sebastian, Das große Pflügen, in SZ 2.7.2020)
    Vergleiche: Truderinger Acker

    Mai 2020: Siemens-Hochhaus: Büros. Nach mehrmaligem Verkauf bleibt die frühere Büronutzung im Siemens-Hochhaus an der Baierbrunner Straße beibehalten. Der BA Forstenried begrüßte dies, da er eine Wohnnutzung nicht für sinnvoll hält. Da die bisherige Fassade angeblich nicht zu erhalten sei, wird das Hochhaus aus der Denkmalliste gestrichen. ((Büros statt Wohnungen, in SZ 30.5.2020 []

  15. Gericht macht Weg frei, in SZ 30.5.2020 []
Moloch München Eine Stadt wird verkauft

Nicht angemeldet > Anmelden